Leitsatz

Das Vorkaufsrecht des Mieters gemäß § 577 Abs. 1 BGB entsteht grundsätzlich nicht, wenn ein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück verkauft wird und erst die Erwerber durch Teilungsvereinbarung gemäß § 3 WEG begründen. Das gilt in der Regel auch dann, wenn die Erwerber beabsichtigen, die neu geschaffenen Einheiten jeweils selbst zu nutzen, es sich also um ein sogenanntes "Erwerbermodell" handelt

 

Normenkette

§ 577 Abs. 1 BGB

 

Das Problem

  1. B ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Eine der 4 in dem Gebäude vorhandenen Wohnungen vermietet sie an K. Nachdem das zuständige Landratsamt die Abgeschlossenheitsbescheinigung erteilt, verkauft B den ungeteilten Grundbesitz 2009 an 3 Erwerber zum Preis von 120.000 EUR. Die Erwerber lassen noch am gleichen Tag und bei demselben Notar einen Teilungsvertrag gemäß § 3 WEG beurkunden.
  2. Mit Erklärung vom März 2011 übt K gegenüber B ein auf § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB gestütztes, behauptetes Vorkaufsrecht aus.

    § 577 (BGB) Vorkaufsrecht des Mieters

    (1) Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt. Dies gilt nicht, wenn der Vermieter die Wohnräume an einen Familienangehörigen oder an einen Angehörigen seines Haushalts verkauft. Soweit sich nicht aus den nachfolgenden Absätzen etwas anderes ergibt, finden auf das Vorkaufsrecht die Vorschriften über den Vorkauf Anwendung.

    […]

    Da B die Sache so nicht sieht und kein Vorkaufsrecht erkennen kann, klagt K gegen B. Mit ihrer Klage will sie gegenüber B feststellen lassen, dass zwischen ihr und B ein Kaufvertrag über die von ihr gemietete Wohnung zum Preis von 30.000 EUR zustande gekommen ist.

  3. Das Landgericht Essen weist die Klage ab, das Oberlandesgericht Hamm die dagegen gerichtete Berufung zurück.
 

Entscheidung

  1. Die dagegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Das Vorkaufsrecht bei dem Verkauf eines ungeteilten Grundstücks vor Begründung des Wohnungseigentums entstehe im Grundsatz nur dann, wenn sich der Veräußerer gegenüber den Erwerbern vertraglich verpflichtet, seinerseits die Aufteilung gemäß § 8 WEG durchzuführen. Darüber hinaus müsse die von dem Vorkaufsrecht erfasste zukünftige Sondereigentumseinheit in dem Vertrag bereits hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Dagegen sei es regelmäßig nicht ausreichend, wenn – wie hier – erst die Erwerber die Teilung durchführen.
  2. Das Vorkaufsrecht solle nicht zum Erwerb des gesamten Grundstücks berechtigen. Der Mieter solle auch keinen bloßen Miteigentumsanteil, sondern das in seiner Entstehung bereits angelegte Eigentum an der von ihm gemieteten Wohnung erwerben können. Weil das Vorkaufsrecht einen Vertrag zwischen dem Mieter und dem Verkäufer nach den Bedingungen des mit den Erwerbern geschlossenen Kaufvertrags entstehen lässt, müsse sich der Verkäufer gegenüber den Erwerbern verpflichtet haben, die Aufteilung vorzunehmen. Nur dann sei sichergestellt, dass der Mieter tatsächlich Wohnungseigentum erwerben kann.
  3. Bei einer Aufteilung durch die Erwerber sei nicht gewährleistet, dass der Mieter Wohnungseigentum erwirbt. Wollte man auch hier ein Vorkaufsrecht annehmen, könnte der Mieter zunächst allenfalls einen Miteigentumsanteil an dem ungeteilten Grundbesitz erwerben. In eine Teilungsvereinbarung der Erwerber träte er aus Rechtsgründen nicht ein. Folglich könnten die Erwerber ihre Aufteilungsabsicht aufgeben, ohne dass der Mieter dies verhindern könnte. Dies wäre für ihn mit ganz erheblichen finanziellen und rechtlichen Risiken verbunden.
  4. Im Einzelfall könne das Vorkaufsrecht allerdings entstehen, wenn ein Rechtsmissbrauch festzustellen sei. Dies setze voraus, dass die Parteien des Kaufvertrags nur zur Ausschaltung des Vorkaufsrechts bewusst auf eine an sich beabsichtigte Teilung durch den Veräußerer verzichten und die Teilung den Erwerbern überlassen. Hier habe das Oberlandesgericht Hamm jedoch festgestellt, dass die Verkäuferin über die bloße Kenntnis von der Absicht der Erwerber hinaus kein eigenes Interesse an der Aufteilung hatte; ihre Kenntnis von dem Willen der Erwerber, das Haus aufzuteilen, reiche nicht aus, um einen Rechtsmissbrauch anzunehmen.
 

Kommentar

Anmerkung
  1. Sinn und Zweck von § 577 BGB ist der Schutz des Wohnungsmieters vor Verdrängung bei Verkauf umgewandelter Wohnungen. Dieses Ziel ist – wie der Fall zeigt – nicht erreichbar, wenn nicht der Veräußerer, sondern erst der von ihm Erwerbende die Mietsache umwandelt.
  2. Zwar ließ sich bislang vom Wortlaut und vom Sinn und Zweck der Vorschrift her vertreten, es reiche aus, wenn nicht der Veräußerer, sondern der Erwerber die Absicht hat, den vermieteten Wohnraum umzuwandeln. Eben dieser mieterfreundlichen Ansicht erteilt der Bundesgerichtshof bedauerlicherweise eine klare Absage.
  3. Die Gefahr einer Verdrängung des Mieters ist inzwischen vermindert worden, weil der Gesetzgeber die Sperre für die Kündigung wegen Eigenbedarfs durch § 5...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge