5.1 Die zivilrechtliche Nachbarklage

Gegen ihn belastende Umwelteinwirkungen durch bestehende Industrie- und Gewerbebetriebe kann sich der Nachbar mit der zivilrechtlichen Nachbarklage (Beseitigungs- und Unterlassungsklage) zur Wehr setzen. Hierfür stehen ihm als Eigentümer eines betroffenen Grundstücks oder Wohnhauses die §§ 1004, 906 BGB und als Mieter oder Pächter die §§ 1004, 862 BGB offen.

 
Hinweis

Wegen des hohen Prozesskostenrisikos sollten Sie zunächst die zuständige Immissionsschutzbehörde (Landrat oder Bürgermeister) auf den Missstand aufmerksam machen und darauf drängen, sog. nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG (bei immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen) oder Anordnungen nach § 24 BImSchG (bei immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungspflichtigen Anlagen) gegenüber dem Umweltsünder zu erlassen. Aber aufgepasst: Der Erlass derartiger Anordnungen ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde; als Nachbar hat man keinen Anspruch darauf, dass die Behörde tätig wird.

Hat die Behörde eine Anordnung erlassen und ist die Anordnung bestandskräftig geworden, kann sie der Nachbar mit einer Zivilklage gerichtlich durchsetzen (gestützt auf § 823 Abs. 2 i.V. mit § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB).[1]

Ist die Wohn- oder Grundstücksnutzung des Nachbarn baurechtswidrig, ist sie nach der Rechtsprechung gegenüber Umwelteinwirkungen einer in der Nachbarschaft rechtmäßig betriebenen Anlage nicht geschützt.[2] Das betrifft etwa den Fall, dass Lärmbelästigungen einer baurechtlich genehmigten Tankstelle durch ein baurechtlich nicht genehmigtes und auch nicht genehmigungsfähiges Fenster in Wohnräume dringen und sich ohne diesen baurechtswidrigen Zustand nicht störend bemerkbar machen würden.

[2] So BVerwG, Urteil v. 24.2.1992, 7 C 6.92, DÖV 1993, 255.

5.2 Der Nachbarschutz im einzelnen (Übersicht)

Bei immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungspflichtigen Industrie- und Gewerbebetrieben kann sich der Nachbar in vollem Umfang auf die zivilrechtliche Abwehrklage berufen und unter Umständen sogar eine Betriebseinstellung erzwingen. Welche Möglichkeiten er hat, ist aus der folgenden Übersicht zu entnehmen:

Übersicht:

 
Form der Beeinträchtigung   Anspruch
unwesentliche Beeinträchtigungen   Abwehranspruch durch § 906 Abs. 1 BGB ausgeschlossen; deshalb keine weiteren Ansprüche
Wesentliche Beeinträchtigungen – bedingt durch ortsübliche Benutzung des Anlagegrundstücks und – durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht zu verhindern   Abwehranspruch durch § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen; u. U. Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
Wesentliche Beeinträchtigungen – bedingt durch nicht ortsübliche Benutzung des Anlagegrundstücks (wirtschaftlich zumutbare Abhilfemaßnahmen dahingestellt)   Abwehranspruch nach § 1004 BGB (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB)
Wesentliche Beeinträchtigungen – durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen zu verhindern (ortsübliche Benutzung des Anlagegrundstücks dahingestellt)   Abwehranspruch nach § 1004 BGB (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB)

Bei immissionsschutzrechtlich genehmigten Industrie- und Gewerbeanlagen kann nach § 14 BImSchG eine Betriebseinstellung durch Nachbarklage nicht erreicht werden. Wie sich diese Vorschrift auf die zivilrechtlichen Abwehransprüche des Nachbarn auswirkt, kann der folgenden Übersicht entnommen werden:

Übersicht:

 
Form der Beeinträchtigung   Anspruch
unwesentliche Beeinträchtigungen durch die genehmigte Anlage   Abwehranspruch durch § 906 Abs. 1 BGB ausgeschlossen; deshalb keine weiteren Ansprüche
wesentliche Beeinträchtigungen durch die genehmigte Anlage – bedingt durch ortsübliche Benutzung des Anlagegrundstücks und – durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht zu verhindern   Abwehranspruch durch § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeschlossen; u. U. Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB; keine Ansprüche nach § 14 BImSchG.
Wesentliche Beeinträchtigungen durch die genehmigte Anlage – bedingt durch nicht ortsübliche Benutzung des Anlagegrundstücks – (wirtschaftlich zumutbare Abhilfemaßnahmen dahingestellt)   Abwehranspruch nach § 1004 BGB bleibt zunächst bestehen (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB), wird aber durch Ansprüche nach § 14 BImSchG ersetzt
wesentliche Beeinträchtigungen – durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen zu verhindern – (ortsübliche Benutzung des Anlagegrundstücks dahingestellt)   Abwehranspruch nach § 1004 BGB bleibt zunächst bestehen (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB), wird aber durch Ansprüche nach § 14 BImSchG ersetzt

5.3 Der Einwand des Bestandsschutzes

Durch die Baugenehmigung für einen Gewerbebetrieb oder die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Industrieanlage erhält der Betriebsinhaber entweder unmittelbar kraft Gesetzes (§ 14 BImSchG) oder nach der Rechtsprechung eine gesicherte Rechtsposition dergestalt, dass er seinen Betrieb im Rahmen der erteilten Genehmigung führen kann und nicht befürchten muss, wegen einer Nachbarklage seinen Betrieb einstellen zu müssen.

 
Praxis-Beispiel

Bestandsschutz

Wenn sich etwa ein Nachbar durch einen baurechtlich genehmigten Autolackierbetrieb belästigt fühlt, kann sich der Betr...

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