Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, was der Nachbarschaft eines Industrie- oder Gewerbebetriebs an Immissionen zugemutet werden kann, u.a. anhand der Grenzwerte der TA Lärm und der TA Luft zu beantworten.

Diesen sog. technischen Regelwerken ist zu entnehmen, wann eine Umwelteinwirkung "erheblich" im Sinn des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder "wesentlich" im Sinn des § 906 BGB ist und vom Nachbarn abgewehrt werden kann.[1]

In § 906 Abs. 1 BGB wird das mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: "Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben".

Der BGH formuliert für die TA Lärm die einfache Regel: Die Einhaltung der einschlägigen Richtwerte der TA Lärm nach § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB indiziert die Unwesentlichkeit einer Lärmbeeinträchtigung, während die Überschreitung der Richtwerte die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung indiziert.[2]

Die Immissionswerte der TA Lärm und der TA Luft gelten unmittelbar nur für genehmigungsbedürftige Anlagen. Nach ständiger Rechtsprechung sind sie aber auch bei immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen entsprechend zu berücksichtigen.

[1] Vgl. Grüneberg/Herrler, BGB, 81. Aufl. 2022, § 906, Rn. 19f.; BGH, Urteil v. 14.10.1994, V ZR 76/93, NJW 1995, 132.

3.1 Wissenswertes zum Lärm

Die Wirkung des Lärms auf den Menschen verdeutlicht die folgende Übersicht:

 
Schmerzschwelle 130 dB(A) Düsenflugzeug, 100 m entfernt
Kritische Grenze für Gehörschäden bei Dauerbelastung 120 dB(A) Kettensäge, Presslufthammer
  110 dB(A) Motorsäge, Diskomusik
  100 dB(A) Kreissäge, U-Bahn
  90 dB(A) Lastkraftwagen bei 50 km/h
Beginn der Beeinträchtigung 80 dB(A) starker Autoverkehr
  70 dB(A) Staubsauger, Motorrad
  60 dB(A) Rasenmäher, 10 m entfernt
  50 dB(A) normale Unterhaltung, Vogelgezwitscher
  40 dB(A) ruhiges Wohngebiet
Hörschwelle 30 dB(A) Flüstern, Kühlschrank
  20 dB(A) Ticken einer Uhr, sanftes Blätterrauschen
  10 dB(A) Schneefall
  0 dB(A)  

Eine Zunahme von 10 dB(A) wird subjektiv als Verdoppelung des Lärms empfunden. Das heißt, dass 40 dB(A) doppelt so laut empfunden werden wie 30 dB(A).

Störungsfreier Schlaf ist ab einem Innenraumpegel von 35 dB(A) nicht mehr möglich.

3.2 TA Lärm

Zum Schutz der Nachbarschaft sind in der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) folgende umgebungsbezogene Immissionsrichtwerte festgelegt:

 
a) Industriegebiete   70 dB(A)
     
b) Gewerbegebiete

tags

nachts

65 dB(A)

50 dB(A)
c) in urbanen Gebieten

tags

nachts

63 dB(A)

45 dB(A)
d) Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete

tags

nachts

60 dB(A)

45 dB(A)
e) Allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete

tags

nachts

55 dB(A)

40 dB(A)
f) Reine Wohngebiete

tags

nachts

50 dB(A)

35 dB(A)
g) Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstalten

tags

nachts

45 dB(A)

35 dB(A)

Die Zuordnung der Richtwerte hängt immer vom Einwirkungsbereich (also der betroffenen Nachbarschaft) und davon ab, wie dessen Schutzwürdigkeit zu qualifizieren ist. Gemessen wird der Lärm in einer Entfernung von 0,5 m vor dem geöffneten Fenster des dem Lärm ausgesetzten Wohnraums.

Die Immissionsrichtwerte für Aufenthaltsräume von Wohnungen, die baulich mit der störenden Anlage verbunden sind, sind gebietsunabhängig. Sie betragen für die Tageszeit 40 dB(A) und für die Nachtzeit 30 dB(A). Mit dieser Regelung soll der notwendige Schallschutz von Wohnungen bei der Geräuschübertragung innerhalb von Gebäuden sichergestellt werden.

Als Nachtzeit gilt die Zeit von 22 bis 6 Uhr; sie kann um eine Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden, wenn dies wegen der besonderen örtlichen oder betrieblichen Verhältnisse erforderlich ist.

Bei Überschreiten der Richtwerte auf Ihrem Grundstück oder an Ihrer Wohnung können Sie Lärmschutzmaßnahmen verlangen.

3.3 TA Luft

Die Immissionswerte der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) markieren nach der Rechtsprechung die Grenze zwischen den schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftschadstoffe. Die TA Luft wurde in ihrer aktuellen Fassung, die am 1.12.2021 in Kraft getreten ist, an den aktuellen Stand der Technik angepasst.

Im einzelnen werden in der TA Luft Immissionswerte festgelegt, die im Einwirkungsbereich der davon betroffenen industriellen und gewerblichen Anlagen nicht überschritten werden dürfen. Bei Überschreiten der Grenz- und Richtwerte können im allgemeinen Schutzmaßnahmen gefordert werden.

3.4 Die Bedeutung der baugebietsmäßigen Situation

Bei der TA Luft dürfen die festgelegten Immissionswerte im gesamten Einwirkungsbereich nicht überschritten werden. Das bedeutet vereinfacht ausgedrückt einen einheitlichen Nachbarschutz im Einwirkungsbereich industrieller und gewerblicher Betriebe.

Demgegenüber gewährleistet die TA Lärm einen differenzierten Nachbarsc...

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