Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. geeigneter Arbeitsplatz. konkretes Arbeitsangebot. eingegrenzter Berufsbereich. Wettbewerbsfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Feststellung der Geeignetheit eines angestrebten Arbeitsplatzes ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht erforderlich, dass der Beklagten ein konkretes Arbeitsangebot vorgelegt wird. Es reicht aus, dass die Klägerin sich ernsthaft und nachvollziehbar um einen Arbeitsplatz in einem eingrenzbaren Berufsbereich bemüht, der nicht im Gegensatz zu ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten steht.

Abgrenzung zu LSG Nordrhein-Westfalen 24.8.1998 (br 1999 S. 57) und zu LSG Berlin 29.9.1993 (E-LSG Ar-049)

Die Beklagte war zur Gleichstellung zu verurteilen, da der Beklagten mangels atypischen Sachverhalts kein Ermessen zustand.

 

Normenkette

SchwbG § 2

 

Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 22.10.1998; Aktenzeichen S 12 AL 2140/97)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Es geht in dem Rechtsstreit um die Gleichstellung der Klägerin mit einer Schwerbehinderten nach § 2 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Die 1941 geborene Klägerin übte nach ihren Angaben bis 1991 keine berufliche Beschäftigung aus wegen der Pflege ihres schwerbehinderten Sohnes (100 %). Von Februar bis September 1991 arbeitete sie als Buchungs-Kontrolleurin und seit Oktober 1992 halbtags als Empfangsdame und Telefonistin bei der Frankfurter Niederlassung der Sony Deutschland GmbH.

Mit Neufeststellungsbescheid vom 5. Dezember 1995 stellte das Versorgungsamt Gießen einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 % sowie die folgenden Behinderungen fest:

  1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
  2. Psychosomatose
  3. Sehminderung der Augen

Am 14. Februar 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten, da ihr von ihrer Arbeitgeberin mitgeteilt worden sei, sie sei zu oft krank. Die Beklagte holte Stellungnahmen der Arbeitgeberin, des Betriebsrates sowie der zuständigen Vertrauensfrau der Schwerbehinderten ein, wobei letztere den Antrag befürwortete. Mit Bescheid vom 7. Juni 1996 lehnte die Beklagte den Antrag im wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Arbeitsplatz nicht aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet und die Klägerin zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes nicht auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes angewiesen sei. Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juli 1996 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass zum 31. März 1997 ihre Kündigung anstehe. Der angebotene Wechsel nach Köln sei ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. In Frankfurt am Main stehe ein Umzug und eine Verkleinerung auf 4 Abteilungen an. Auch werde ihr Platz wieder besetzt.

Die Beklagte holte eine Auskunft bei der Techniker Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten ein, sowie ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 11. Februar 1997. Danach stünden bei der Klägerin psychosomatische Beschwerden mit depressiven Verstimmungen, Nervosität und Schlafstörungen sowie Magenbeschwerden im Vordergrund. Zumutbar seien 4 bis 6 Stunden täglich leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten ohne psychische Belastung, ohne starke Belastung der Wirbelsäule und ohne hohe Anforderungen an das Sehvermögen. Am 14. Februar 1997 schloss die Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main einen Vergleich, dass das Arbeitsverhältnis am 31. März 1997 aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten ende.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung wird ausgeführt, durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich sei nunmehr die behinderungsbedingte Gefährdung ihres bisherigen Arbeitsplatzes entfallen. Die Notwendigkeit der Gleichstellung hinsichtlich der Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes könne erst bei einer konkreten Zusage eines Arbeitgebers für einen bestimmten Arbeitsplatz festgestellt werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 1. August 1997 Klage erhoben und u.a. vorgetragen, sie könne auf dem Arbeitsmarkt wegen ihrer Behinderungen nicht mit nichtbehinderten Bewerbern … konkurrieren. Berufliche Chancen eröffneten sich erst mit der angestrebten Gleichstellung. Die Ablehnung der begehrten Gleichstellung beruhe auf einer fehlerhaften Ermessensausübung der Beklagten.

Die Beklagte hat u.a. vorgetragen, dass sich bei nichtbeschäftigten Behinderten die Eignung für einen (nicht vorhandenen) Arbeitsplatz denknotwendig nicht prüfen lasse. Die Notwendigkeit der Gleichstellung ergebe sich tatsächlich erst aus dem angestrebten konkreten Arbeitsplatz. Gegen eine Gleichstellung im vorliegenden Fall spreche auch die Rückwirkung auf den Tag der Antragstellung, obwohl das damalige Arbeitsverhältnis nicht mehr erhalten werden könne. Mit Urteil vom 22. Oktober 1998 hat das Sozialge...

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