Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Zeit- bzw Dauerrente. Besserung des Gesundheitszustandes. Verweisung auf eine nichtduldungspflichtige Operation

 

Orientierungssatz

1. Nach dem seit 1.1.2001 geltenden neuen Rentenrecht ist die Erwerbsminderungsrente auf Zeit der Regelfall, die Gewährung der Rente auf Dauer der Ausnahmefall.

2. Eine Dauerrente kommt nur dann in Frage, wenn eine Besserung des Gesundheitszustandes und damit die Behebung der Erwerbsminderung unwahrscheinlich sind. Eine Versicherte muss sich zur Verbesserung ihres Leistungsvermögens auch auf eine Operation - hier die Einbringung eines Kniegelenksimplantats - verweisen lassen, die nicht duldungspflichtig ist und deren Durchführung sie (derzeit) ablehnt, wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass sich der Gesundheitszustand nach Durchführung der Operation bessert und damit die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.03.2006; Aktenzeichen B 13 RJ 31/05 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juli 2004 aufgehoben und die Klage, auch gegen den Bescheid vom 15. November 2002, abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten für das Klage- und Berufungsverfahren zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf unbefristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1950 geborene Klägerin ist im Jahre 1970 aus der Türkei in die Bundesrepublik gekommen und hat hier seit 1972 verschiedene ungelernte Tätigkeiten versicherungspflichtig ausgeübt. Von 1983 bis 1986 war sie arbeitslos, seit 22. September 1986 hat sie bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 12. März 2002 als Lederzuarbeiterin versicherungspflichtig gearbeitet. Die Klägerin erlitt am 14. April 1977 einen Wegeunfall, bei dem sie sich eine ausgeprägte Schädigung des linken Kniegelenks zuzog. Die BG Druck- und Papierverarbeitung zahlt ihr deswegen eine Dauerrente nach einer MdE von 30 % ab 1. Januar 1995 (Bescheid vom 26. Juli 1995).

Den ersten Antrag der Klägerin vom 5. Oktober 1996 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. März 1997 ab. Dazu hatte die Beklagte die medizinischen Unterlagen von der BG beigezogen und die Klägerin orthopädisch durch Dr. KM. (Gutachten vom 21. Januar 1997) untersuchen lassen. Danach wurde die Klägerin noch für fähig erachtet, leichte Arbeiten, überwiegend sitzend, vollschichtig unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten bei einer zumutbaren Gehstrecke von 800 Metern.

Im Zeitraum vom 6. bis 27. Oktober 1998 befand sich die Klägerin in einem medizinischen Rehabilitationsverfahren in B. S. Nach dem Entlassungsbericht vom 1. Dezember 1998 war sie noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten; als Arbeiterin in der Lederindustrie konnte sie weiterhin tätig sein.

Am 28. Juni 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte wertete einen Befundbericht von Dr. D., Oberarzt der BG Unfallklinik D-Stadt, vom 11. Juni 2002 aus und ließ die Klägerin sozialmedizinisch durch Frau Dr. LJ. untersuchen. Unter zusätzlicher Auswertung des Reha- Entlassungsberichts aus B. S. vom 1. Dezember 1998 sowie der von der BG Unfallklinik vorliegenden medizinischen Unterlagen wurden im Gutachten vom 9. Oktober 2002 die Diagnosen gestellt:

1. Fortgeschrittene Verschleißerscheinungen im linken Kniegelenk nach ausgedehnter Verletzung 04/77 (Wegeunfall).

2. Bandscheibenvorwölbung in Höhe L5/S1 mit Belastungsbeschwerden im Kreuz.

3. Reaktiver depressiver Verstimmungszustand durch chronische Schmerzen.

4. Erhebliches Übergewicht.

Das Leistungsvermögen sei unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für leichte Arbeiten seit März 2002 auf unter 3 Stunden täglich abgesunken. Eine Besserung sei nur bei erfolgreich durchgeführter Kniegelenksendoprothese zu erwarten. Die Beklagte holte noch eine Auskunft des letzten Arbeitgebers der Klägerin vom 22. Oktober 2002, der P. GmbH und Co KG, A-Stadt, ein. Mit Bescheid vom 8. November 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. Oktober 2002 eine bis zum 30. September 2005 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab 12. März 2002 erfüllt. Die Rente auf Zeit werde ab Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - SGB - VI). Der Rentenanspruch sei zeitlich begrenzt, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Mit weiterem Bescheid vom 15. November 2002 wurde die Rente neu festgestellt und der Bescheid vom 8. November 2002 nach § 44 SGB X insoweit abgeändert.

Die Klägerin erhob am 6. Dezember 2002 Widerspruch und übersandte ein Attest des Dr. D., O...

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