Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Voraussetzungen einer Magenbypass Operation zur Behandlung einer massiven Adipositas. Sonderfall mit BMI von deutlich über 40. Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte Leistung eines nichtzugelassenen Leistungserbringers

 

Orientierungssatz

1. Die Durchführung einer Magenbypass Operation zur Behandlung einer massiven Adipositas auf Kosten der Krankenversicherung setzt regelmäßig einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 40 voraus. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Versicherte in den letzten sechs bis zwölf Monaten die konservativen Behandlungsmöglichkeiten durchlaufen hat und diese erschöpft sind, gegen die Durchführung der chirurgischen Magenverkleinerung keine wesentlichen medizinischen Kontraindikationen bestehen (insbesondere keine manifeste psychische Erkrankung) und eine lebenslange medizinische Nachbetreuung des Versicherten gewährleistet ist. Schließlich dürfen an der Motivation des Versicherten zur Einhaltung der ärztlichen Vorgaben für das Ernährungsverhalten nach Magenverkleinerung keine ernsthaften Zweifel bestehen (vgl BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 20, BSG vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B).

2. In Sonderfällen, in denen der BMI im oberen Bereich liegt und den Wert von 40 deutlich überschreitet, ist es angemessen eine Magenverkleinerungsoperation krankenversicherungsrechtlich auch dann zu bewilligen, wenn die Adipositas bereits seit früher Jugend besteht und die hinreichend glaubhaften und ernsthaften eigeninitiativen Bemühungen des Versicherten zur Gewichtsreduktion nicht den strengen Vorgaben zu einem sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen und ärztlich geleiteten bzw überwachten Therapiekonzept entsprechen (vgl SG Mannheim vom 17.01.2013 - S 9 KR 491/12).

3. Ein Kostenerstattungsanspruch kann auch auf eine selbstbeschaffte Leistung eines nicht im Naturalleistungsprinzip der GKV zugelassenen Leistungserbringers bestehen, wenn ursachlich für die Selbstbeschaffung eine rechtswidrige Leistungsablehnung der Krankenkasse ist und der Versicherte sich nicht - unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt - von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nichtzugelassenen Leistungserbringer festlegt (vgl BSG vom 11.09.2012 - B 1 KR 3/12 R = BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23).

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11.11.2010 und der Bescheid der Beklagten vom 05.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2008 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die ihr für die selbstbeschaffte Magenbypass-Operation vom 10.07.2007 entstandenen Kosten in Höhe von 3.600,00 € zu erstatten.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für beide Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für eine bei ihr auf Selbstkostenzahlungsbasis stationär am 10.07.2007 durchgeführte Magenbypass-Operation zur Behandlung einer massiven Adipositas.

Die am ... 1959 geborene Klägerin, ist bei der Beklagten (in der durch Fusion die frühere ...-direkt eingegliedert wurde) krankenversichert. Sie leidet seit ihrer Kindheit. - ebenso wie ihre Eltern - an Adipositas per magna bei einer Körpergröße von 159 cm. Sie ist alleinstehend und Mutter dreier Kinder und als Chefsekretärin bei einer Bank berufstätig. Zum Zeitpunkt der streitbefangenen Operation wog sie 119 kg und wies damit einen Bodymaßindex (BMI) auf, der bei 47 kg/qm lag. Die Klägerin hatte mehrfach versucht, ihr Übergewicht mit Diäten zu regulieren und mehrfach an Weight Watchers Programmen teilgenommen. In den Jahren 1999 und 2000 konnte sie eine Gewichtsreduzierung auf einen unter 100 kg liegenden Wert erreichen, die aber nicht anhielt. Ab Januar 2007 wurde die Klägerin in der Praxis des Internisten und Ernährungsmediziner Dr. W... ernährungsmedizinisch betreut.

Mit Schreiben vom 27.02.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf ihren BMI von 47 kg/qm die Kostenübernahme für eine Roux-en Y Magenbypassoperation. Zur Begründung führte sie aus, sie leide an Unterfunktion der Schilddrüse, Arthrosen im Bereich beider Kniegelenke und der Wirbelsäule, beginnenden Diabetes mellitus sowie Stoffwechselstörungen. Trotz vielfältiger Anstrengungen habe sie eine dauerhafte Gewichtsreduktion nicht erreicht. Weiter legte sie Fotografien von ihrem Körper, einen Arztbrief des Orthopäden Dr. R... vom 18.01.2007, ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin B... vom 18.01.2007 sowie des Internisten Dr. W... vom 11.02.2007, einen Arztbrief der Internistin und Endokrinologin Dr. J... vom 22.07.2007 und eine Stellungnahme des Chefarztes der Chirurgie des Krankenhauses Sachsenhausen Dr. We... vom 22.02.2007 vor. In den eingereichten ärztlichen Äußerungen wurde jeweils die Durchführung der beantragten Magenbypassoperation befürwortet.

Die Krankenkasse (damals noch die ...-direkt) schaltete den Medizinischen Dienst der...

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