Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Rechtmäßigkeit der Beitragsbemessung. landwirtschaftlicher Unternehmer. Beitragsgestaltung. Typisierung und Pauschalierung. Risikogruppe. Beitragsgerechtigkeit. kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG. Obstanbau auf einer 82,92 ha großen Fläche

 

Orientierungssatz

Eine Verletzung der Beitragsgerechtigkeit iS von Art 3 Abs 1 GG ist nur dann anzunehmen, wenn den Satzungsregelungen sachfremde Erwägungen zugrunde liegen, die sich nicht mehr in den Grenzen einer zulässigen Typisierung halten (Anschluss BVerfG vom 6.12.1983 - 2 BvR 1275/79 = BVerfGE 65, 325).

 

Leitsatz (amtlich)

1. Den Unfallversicherungsträgern steht bei der Beitragsgestaltung ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu. Von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit darf nicht überprüft werden, ob die Gebührensatzung jeweils die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, sondern nur, ob die Satzung mit dem Gesetz, auf dem die Ermächtigung des Satzungsgebers beruht (hier: §§ 182ff SGB VII) und sonstigem höherrangigem Recht, insbesondere Art 3 Abs 1 GG, vereinbar ist.

2. Bei der hier innerhalb der Risikogruppen vorgenommenen Differenzierung nach Produktionsverfahren im Freilandobstanbau stand dem Unfallversicherungsträger ebenfalls ein Gestaltungsspielraum zu, dessen Grenzen der zulässigen Typisierung und Pauschalierung nicht überschritten wurden.

3. Der Verzicht auf eine weitere Differenzierung dient dem nach § 182 Abs 2 S 3 SGB VII geforderten angemessenen solidarischen Ausgleich. Durch die möglichst nicht zu weit aufgeteilte Risiko- und Produktionsverfahrensgruppenbildung sollen die einzelnen Gruppen ausreichend groß sein, um den auf sie entfallenden Leistungsaufwand möglichst allein mit ihren möglichst stabilen Beitragszahlungen decken zu können.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den Beitragsbescheid der Beklagten für das Jahr 2013.

Der Kläger betrieb bis zur Unternehmensübernahme durch seinen Sohn am 1. Juli 2021 als selbständiger Landwirt im Wesentlichen Obstanbau (Sauerkirschen, Mirabellen und Zwetschgen) auf einer im streitgegenständlichen Zeitraum 82,92 ha großen Fläche. Außerdem wurde bei der Beitragsbemessung eine stillgelegte Fläche von 4,67 ha für Ackerbau berücksichtigt. Es werden Versicherte in dem Unternehmen beschäftigt.

Für das Umlagejahr 2013 setzte die Beklagte die Beitragsforderung zunächst mit Bescheid vom 24. April 2014 auf insgesamt 4.722,50 € fest und stufte den Betrieb hierbei in die Risikogruppe Produktionsverfahren (PV) Baumobst (manuelle Ernte) ein. Sodann wurde die Beitragsfestsetzung zuerst unter Zugrundelegung der Risikogruppe PV Obstbau (mechanische Ernteunterstützung) mit Bescheid vom 9. Mai 2014 auf 2.276,43 € und zuletzt durch Bescheid vom 27. Mai 2014 unter Berücksichtigung der Härtefallregelung (Begrenzung der Beitragserhöhung auf 70 % des Vorjahresbeitrags) nochmals auf 1.922,07 € reduziert.

Gegen den Bescheid vom 27. Mai 2014 legte der Kläger Widerspruch ein und wandte sich insbesondere gegen die Höhe der festgesetzten Beiträge für den Obstanbau. Der Obstanbau erfolge in seinem Betrieb ausschließlich durch den Einsatz von modernen landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten und die Arbeit werde durch qualifizierte Arbeitskräfte erledigt. Das Erntegut werde weder aufbereitet noch eingelagert, sondern direkt ab Feld an die Landkost-Konserven A. KG veräußert. Die mechanisierten Feldarbeitsgänge unterschieden sich in Art und Umfang nur unwesentlich von denen des Produktionsverfahrens „Mähdrusch, Zuckerrübe“. Daher sei die Erhebung eines weitaus höheren Beitrags für seinen Obstanbau unangemessen.

Nach Erläuterung der Gründe für den angefochtenen Bescheid mit Schreiben vom 21. Juli 2014 wies die Beklagte den aufrechterhaltenen Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2014 zurück. Darin erläuterte die Beklagte das sich aus §§ 39 ff. der von ihr erlassenen Satzung in der Fassung des Dritten Nachtrags vom 20. November 2013 ergebende Beitragsbemessungsverfahren, dessen Parameter nicht willkürlich festgesetzt worden seien, sondern auf dem auf einer breiten Datengrundlage erstellten Sachverständigengutachten von Prof. Dr. C. beruhten. Der Kläger sei mit seinem Kern- und Steinobstanbau zutreffend dem Produktionsverfahren „Obstbau mit mechanischer Ernte“ zugeordnet worden, welches zur Risikogruppe „Obst, Gemüse, Hopfen, Tabak, Weihnachtsbaum“ gehöre. Bei dieser Einstufung sei seiner betriebsindividuellen Besonderheit - der maschinellen Bearbeitung/Ernte von Obstbäumen - Rechnung getragen worden. Die tatsächlich auf ein Produktionsverfahren entfallenden Beiträge würden nicht allein durch die ermittelten Berechnungseinheiten bestimmt, sondern auch durch den Leistungsaufwand. Bei der Prüfung der Satzung durch...

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