Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. gerichtliche Überprüfbarkeit des Rechtsbegriffes des Versorgungsschwerpunktes. Vorliegen eines Versorgungsschwerpunktes. Abgrenzung zwischen Versorgungsschwerpunkt und Versorgungsbedarf

 

Orientierungssatz

1. Der Rechtsbegriff des Versorgungsschwerpunkts ist vollumfänglich gerichtlich überprüfbar. Mangels eines Erkenntnis- oder Einschätzungsvorrangs kommt einer kassenärztlichen Vereinigung insoweit ein Beurteilungsspielraum nicht zu (vgl zuletzt BSG vom 16.5.2001 - B 6 KA 53/00 R = SozR 3-2500 § 87 Nr 31).

2. Nicht jede vom Durchschnitt der Arztgruppe abweichende Punktzahlanforderung in einem bestimmten Leistungsbereich begründet einen Versorgungsschwerpunkt (vgl BSG vom 6.9.2000 - B 6 KA 40/99 R = BSGE 87, 112-121 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26).

3. Auf einen als Versorgungsschwerpunkt geltend gemachten Leistungsbereich muss ein Anteil von zumindest 20% der von der Praxis insgesamt abgerechneten Gesamtpunkzahl entfallen (vgl BSG vom 6.9.2000 - B 6 KA 40/99 R = aaO).

4. Es ist nicht sachgerecht, zur Ermittlung des Schwerpunktes der Praxistätigkeit auf die Fallzahlen des betroffenen Arztes abzustellen. Denn nur der Anteil der streitigen Leistungen an der Gesamtpunktzahl bringt am ehesten deren Bedeutung für die jeweilige Praxis zum Ausdruck, indem apparative Ausstattung sowie Personal- und Zeitaufwand des Arztes für die Behandlung entscheidend berücksichtigt werden (vgl BSG vom 31.1.2001 - B 6 KA 11/99 R = Die Leistungen Beilage 2002, 203).

5. Ein Versorgungsschwerpunkt ist in erster Linie aus der besonderen Struktur einer einzelnen Praxis abzuleiten, während das Merkmal des Versorgungsbedarfs stärker auf objektive Kriterien in dem Sinne abstellt, dass ein bestimmtes Leistungsangebot einer Praxis unter Sicherstellungsaspekten erforderlich ist (vgl BSG vom 16.5.2001 - B 6 KA 53/00 R aaO).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.10.2009; Aktenzeichen B 6 KA 26/08 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. November 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung des Klägers zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 30600 (Proktologischer Basiskomplex) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes vom 1. April 2005 (EBM).

Der Kläger ist als Facharzt für Urologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit dem Vertragsarztsitz in A-Stadt zugelassen. Er ist seit 1997 Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie und nimmt an deren Fortbildungsveranstaltungen regelmäßig teil.

Nach den zwischen den Beteiligten unstreitigen Feststellungen der Beklagten betrug der Anteil der proktologischen Tätigkeit (Nummern 360 bis 374, Nr. 755 EBM 1996) im Verhältnis zum Gesamtpunktzahlvolumen im Jahr 2002 zwischen 10,01% bis 12% (Quartal 1/02: 10,01%; Quartal 2/02: 11,98%; Quartal 3/02: 11,32%; Quartal 4/02: 12,00%).

Nach den unstreitigen Feststellungen des Sozialgerichts stellen sich die Leistungen nach Nr. 755 EBM 1996 im Vergleich zur Fachgruppe der Urologen wie folgt dar:

I/02

II/02

 III/02

IV/02

Fallzahl des Klägers

1.651

1.779

1.690

1.794

Nr. 755 EBM ‚96 absolut

237

327

280

19

Nr. 755 EBM ‚96 auf 100 Fälle

14

18

17

1

Fallzahl der Fachgruppe

1.164

1.158

1.127

1.197

Zahl der Praxen

152

152

153

153

Zahl der abrechnenden Praxen

17

2

17

2

Nr. 755 EBM ‚96 auf 100 Fälle durch Abrechner

3

10

2

1

Am 5. Oktober 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Genehmigung zur Abrechnung der Nr. 30600 EBM mit der Begründung, er sei seit seiner Niederlassung im Jahre 1989 proktologisch tätig. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie wies darauf hin, dass der Vorstand der KV Hessen beschlossen habe, dass eine entsprechende Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung der Leistung zu erteilen sei, wenn vor dem 31. Dezember 2002 proktologische Leistungen des Abschnitts C VI des EBM 1996 im Umfang von wenigstens 30% des Punktzahlenanteils erbracht worden seien. Dieses Erfordernis sei vorliegend nicht erfüllt. Es sei nicht von einer Schwerpunkttätigkeit auszugehen.

Dagegen legte der Kläger am 7. November 2005 Widerspruch ein. Er wies darauf hin, dass er bereits während seiner in Rumänien begonnenen chirurgischen Ausbildung in großem Umfang proktologisch tätig gewesen sei. Er führe eine große urologische Einzelpraxis mit 1500 bis 1700 Kassenpatienten pro Quartal. Auch außerhalb der Urologie sei er umfangreich ambulant operativ tätig und führe in großem Umfang Laborleistungen durch. Er betreue mehrere Altersheime urologisch und führe auch sonst in großem Umfang Hausbesuche durch. Diese Praxisbesonderheiten würden dazu führen, dass sein Punktezahlvolumen im Vergleich zu anderen Kollegen der Facharztgruppe deutlich höher sei. Ausgehend von diesem ungewöhnlich hohen Gesamtpunktzahlvolumen könne es durchaus möglich sein, dass die erbrachten proktologischen...

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