Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsanspruch bei Strafhaft im offenen Vollzug

 

Orientierungssatz

Jedenfalls bei einem als sog. Freigänger in einer Justizvollzugsanstalt inhaftierten Strafgefangenen findet der Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer stationären Einrichtung im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende keine Anwendung. Verpflegungsleistungen durch die Justizvollzugsanstalt sind dann als Einkommen in Form des Sachbezugs bei der Ermittlung der Leistungshöhe zu berücksichtigen.

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. April 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Der 1969 geborene Kläger verbüßte seit dem 20. Januar 2004 eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) C-Stadt. Seit dem 4. März 2005 war er in der Freigängerabteilung der JVA untergebracht.

Am 9. März 2005 beantragte er die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. April 2005 ab. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) erhalte nach § 7 Abs. 4 SGB II nicht, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Zu den stationären Einrichtungen im Sinne des Gesetzes seien auch Justizvollzugsanstalten zu zählen. Für Personen, welche absehbar länger als sechs Monate inhaftiert und demnach in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II untergebracht seien, bestehe folglich kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Dabei mache es keinen Unterschied, welche Art der Inhaftierung vorliege, so dass auch Freigänger von dieser Regelung erfasst seien.

Den hiergegen am 27. April 2005 erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2005 als unbegründet zurück.

Ausweislich eines Aktenvermerks eines Mitarbeiters des Beklagten vom 19. Juli 2005 teilte ein Mitarbeiter der JVA auf telefonische Anfrage mit, dass die JVA zur Verpflegung der Freigänger, welche ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen bestreiten könnten, verpflichtet sei. Die Verpflegung umfasse Frühstück, Mittag- und Abendessen und sei in der Anstalt erhältlich.

Nach einer Bescheinigung der JVA C-Stadt vom 26. Juli 2005 wurde der Kläger an diesem Tag aus der Haft entlassen.

Auf seinen Antrag vom 1. August 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 2. August 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2006 und mit Bescheid vom 6. Januar 2006 im Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. Juli 2006. Die monatlichen Leistungen umfassten den Regelsatz von 345,00 € abzüglich einer Energiepauschale von 34,50 € sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 150,00 €.

Bereits am 5. Juli 2005 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 14. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 Klage erhoben und beantragt, ihm unter Aufhebung dieser Bescheide ab dem 9. März 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Mit Urteil vom 12. April 2006 hat das Sozialgericht Darmstadt (SG) den Bescheid des Beklagten vom 14. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab dem 9. März 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, im streitgegenständlichen Zeitraum sei eine Leistungsgewährung insbesondere nicht nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen, da der Kläger nicht länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht gewesen sei. Entgegen der Ansicht des Beklagten gehörten Justizvollzugsanstalten nicht zu den stationären Einrichtungen. Dies sei bereits unter dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) der Fall gewesen und habe sich durch das SGB II nicht geändert. Zwar finde sich im SGB II keine Definition, was unter stationären Einrichtungen zu verstehen sei. Allerdings komme hier die gesetzliche Definition in § 13 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) in Betracht. Da beide Gesetze in einem parallelen Gesetzgebungsverfahren geschaffen worden seien, bestehe kein Anlass, den Einrichtungsbegriff des SGB II weiter und anders als den des SGB XII zu verstehen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII seien stationäre Einrichtungen solche, in denen Leistungsberechtigte lebten und die erforderlichen Hilfen erhielten. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift seien Einrichtungen alle diejenigen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfen oder der Erziehung dienten. Justizvollzugsanstalten dienten aber weder der Behandlung oder der Erziehung noch leisteten sie e...

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