Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 01.07.1998; Aktenzeichen S 1 U 1475/97)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.02.2000; Aktenzeichen B 2 U 20/99 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juli 1998 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger am 6. Januar 1997 einen zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Der im Jahre 1977 geborene Kläger nahm als Schreinerlehrling der Firma G. zur Erlangung der Berufsausbildungsvoraussetzungen an einem überbetrieblichen Lehrgang in der Holzfachschule B. W. teil. Es handelt sich um einen Gesamtkomplex mit Schulungs- und Schlafräumen, mehreren Werkstätten und einer Kantine, die in einem separaten Gebäude untergebracht ist. Am 6. Januar 1997, dem ersten Lehrgangstag, rutschte der Kläger seinen Angaben zufolge gegen 18(00) Uhr nach etwa halbstündigem Aufenthalt in der Kantine und Beendigung des Abendessens auf dem nassen Parkettboden der Kantine aus, als er sein Tablett nehmen wollte, um es auf dem Weg zum Kantinenausgang wegzutragen. Dabei zog er sich laut Durchgangsarztbericht vom 9. Januar 1997 eine Absprengung des rechten Femurkondylus und eine Teilruptur des Innenbandes zu und mußte sich im weiteren u.a. einer Knorpelknochentransplantation unterziehen.

Durch Bescheid vom 22. April 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß es sich bei dem Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Zwar hätten auch die Wege von und zur – unversicherten – Nahrungsaufnahme während des Lehrgangs unter Versicherungsschutz gestanden. Dieser habe jedoch mit dem Durchschreiten der Außentür der Kantine geendet. Daß der Kläger auf dem nassen Parkettboden der Kantine ausgerutscht sei, stelle keine besondere Betriebsgefahr dar, die einen Versicherungsschutz begründen könne.

Dagegen hat der Kläger am 28. Juli 1997 beim Sozialgericht Gießen (SG) Klage erhoben und wie schon im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, daß in seinem Fall aufgrund besonderer Umstände der Versicherungsschutz nicht verneint werden könne. Zu berücksichtigen sei zum einen, daß sich der Unfall während eines Lehrgangs mit auswärtiger Unterbringung in einer ihm nicht vertrauten, fremden, schuleigenen Kantine ereignet habe, auf deren Benutzung er für die zur Erlangung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit notwendigen Nahrungsaufnahme angewiesen gewesen sei, weil die Schule außerhalb eines Ortes gelegen sei und am 6. Januar 1997 auch laut Gutachten des Deutschen Wetterdienstes vom 7. Mai 1997 winterliche Witterungsverhältnisse geherrscht hätten. Zum anderen sei wesentlich, daß sich der Unfall aufgrund einer für ihn nicht vermeidbaren Betriebsgefahr und überdies aufgrund einer der Schule zuzurechnenden Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ereignet habe. Warum er ausgerutscht sei, wisse er zwar nicht. Es könne jedoch nur daran gelegen haben, daß der Parkettfußboden naß gewesen sei, weil draußen Eis und Schnee gelegen habe und von den ca. 40 bis 50 Kantinenbesuchern an den Schuhen Wasser mit hineingebracht worden sei. Im gesamten Speisesaal sei es feucht gewesen und an den Sitzplätzen sei Wasser auf dem Boden gewesen. Obgleich diese Nässe gerade bei dem Parkettfußboden zu einer besonderen Gefährdung geführt habe, habe sich der Kantinenbetreiber bzw. die Schule nicht veranlaßt gesehen, z.B. durch Aufwischen der Wasserflecke Abhilfe zu schaffen. Sofern er nicht auswärts untergebracht gewesen wäre und seine Abendmahlzeit in häuslicher Umgebung hätte einnehmen können oder jedenfalls zur Nahrungsaufnahme wegen der örtlichen und witterungsbedingten Verhältnisse nicht auf die Benutzung der schuleigenen Kantine angewiesen gewesen wäre, hätte sich der Unfall nicht ereignet.

Durch Urteil vom 1. Juli 1998 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Sturz des Klägers am 6. Januar 1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne bei Dienstreisen ungeachtet des privaten Charakters einer Verrichtung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem bei dieser Verrichtung erlittenen Unfall und der versicherten Tätigkeit bestehen, wenn gefahrbringende Umstände den Unfall wesentlich bedingt hätten, die in ihrer besonderen Eigenart dem Beschäftigten während seines normalen Verweilens am Wohn- oder Beschäftigungsort nicht begegnet wären. Das sei bei dem Sturz des Klägers im Rahmen der grundsätzlich unversicherten Essenseinnahme in der Kantine der Fall gewesen, weil die durch die Witterungsverhältnisse Schnee und Eis bedingte Pfützen in der zur Holzfachschule gehörenden Kantine nicht entfernt worden seien und der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben darauf ausgerutscht sei. Daß in e...

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