Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung von Beitragsansprüchen einer gemeinsamen Einrichtung von Tarifvertragsparteien

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Verfahren der Veröffentlichung von Allgemeinverbindlicherklärungen ist tatsächlich wenig befriedigend und verbesserungswürdig. Ob das Verfahren immer noch rechtlich akzeptabel ist, bleibt offen.

2. Beitragsansprüche einer gemeinsamen Einrichtung von Tarifvertragsparteien können jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens verwirkt sein.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bau, § 4 Abs. 2; TVG 5 Abs. 4; TVG § 4 Abs. 4 S. 2, § 5 Abs. 7; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 03.07.1991; Aktenzeichen 6 Ca 3930/90)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 03. Juli 1991 – 6 Ca 3930/90 – abgeändert: Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat – einschließlich den Kosten der Revision – der Kläger zu tragen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für den Zeitraum von Januar bis Oktober 1990 einschließlich Auskunft über die Beschäftigung gewerblicher Arbeitnehmer (betreffend die Zahl der im genannten Zeitraum beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die Höhe der auf diese insoweit entfallenden Bruttolohnsumme sowie die entsprechende Höhe der abzuführenden Beiträge) zu erteilen und ihm für den Fall nicht fristgerechter Auskunftserteilung als Entschädigung 49.000,– DM zu zahlen.

Der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit nach näherer tarifvertraglicher Maßgabe die, Einzugsstelle für die Beiträge der baugewerblichen Arbeitgeber im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin (so die alte und seinerzeit einschlägige Formulierung des § 1 Absatz 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 in der damals geltenden Fassung – VTV –) zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Im Klagezeitraum waren alle baugewerblichen Arbeitgeber im genannten Bereich verpflichtet, dem Kläger nach einem tarifvertraglich im einzelnen näher ausgestalteten Verfahren mitzuteilen, wieviele Arbeitnehmer sie beschäftigten, die eine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter (RVO) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, ebenso in welcher Höhe die lohnsteuerpflichtige Bruttolohnsumme insgesamt für diese Arbeitnehmer und die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft in den entsprechenden Monaten angefallen sind. Diese Verpflichtung ergab sich aus § 27 Abs. 1 und 4 des VTV in der für den streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Fassung, der in dieser Fassung im Zeitraum von Januar bis Oktober 1990 auch durchgehend für allgemeinverbindlich erklärt worden war.

Der Beklagte beschäftigte im Kalenderjahr 1990 im Regelfall 10 Arbeitnehmer. Diese befaßten sich damit, vornehmlich in Supermärkten, Wohnhäusern und Bürogebäuden Fußböden zu verlegen sowie Treppenstufen und Fensterbänke zu setzen. Verlegt wurden dabei Terrazzoplatten, d.h. vom Lieferanten industriemäßig hergestellte und von diesem bezogene Kunststoffplatten; der Beklagte fertigte keine Platten, Stufen oder Fensterbänke selbst.

Aufgrund entsprechender Tätigkeit in der Zeit zuvor unterfiel der Betrieb des Beklagten bis zum 31. Dezember 1989 nicht dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV in der bis dahin geltenden Fassung, da – dies ist auch übereinstimmende Sicht der Parteien – der Betrieb von § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 5 VTV (in der bis 31. Dezember 1989 geltenden Fassung) erfaßt wurde: Es handelte sich um einen „Betrieb des Natur- und Kunststein be- und verarbeitenden Gewerbes” (vgl. dazu BAG Urteil vom 23. November 1988 – 4 AZR 452/88 – AP Nr. 101 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Unter dem 20. November 1990 teilte der Kläger dem Beklagten mit, daß ab dem 01. Januar 1990 die Beitragspflicht gegeben sei, und forderte den Beklagten auf, den tarifvertraglich vorgeschriebenen Verpflichtungen für die Zeit ab dem 01. Januar 1990 nachzukommen. Für den Wortlaut des Schreibens im einzelnen wird Bezug genommen auf die Fotokopie Blatt 5 d.A.. Zuvor hatte er ihn schon unter dem 26. Oktober 1990 angeschrieben; für den Wortlaut dieses Schreibens wird gleichfalls Bezug genommen auf die zu den Gerichtsakten gereichte Fotokopie (Blatt 154/155 d.A.).

Grundlage dieser Mitteilung ist die Tatsache, daß mit Wirkung von 01. Januar 1990 § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 5 VTV folgenden Wortlaut hat:

„Nicht erfaßt werden Betriebe der Naturstein- und Naturwerksteinindustrie, soweit nicht Arbeiten der in Abschnitt I bis V aufgeführten Art ausgeführt werden, sowie des Steinmetzhandwerks.”

Die geänderte Fassung des VTV wurde auf Antrag vom 22. Dezember 1989 am 06. Juni 1990 (rückwirkend) für allgemeinverbindlich erklärt. Die Allgemeinverbindlicherklärung wurde am 16. Juni 1990 ...

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