keine Angaben zur Rechtskraft

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Datenschutz. Gewerkschaftswerbung. E-Mail. Koalitionsbetätigungsfreiheit. virtuelles Zugangsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Gewerkschaft ist zumindest dann nicht berechtigt, die von einem Arbeitgeber eingerichteten und ausschließlich für betriebliche Zwecke bestimmten E-Mail-Postfächer der Arbeitnehmer für eine massenhafte und ohne Einverständnis der Arbeitnehmer durchgeführte Werbe- und Informationsmaßnahme per E-Mail zu nutzen, wenn

  • die E-Mail-Adressen unter Verstoß gegen das BDSG genutzt wurden, und/oder
  • auch solche Arbeitnehmer eine E-Mail erhalten, mit deren Einverständnis für den Empfang nicht gerechnet werden kann und die die E-Mail lesen müssen, um für die Zukunft aus dem Verteiler der Gewerkschaft genommen zu werden.
 

Normenkette

GG Art. 9 III; BDSG §§ 3-4, 28; BGB § 1004; BGB 823

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.09.2007; Aktenzeichen 11/21 Ca 4489/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.01.2009; Aktenzeichen 1 AZR 515/08)

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 06. September 2007 – 11/21 Ca 4489/07 – wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Tenor klarstellend wie folgt neu gefasst wird:

  1. Den Beklagten zu 1) bis 3) wird aufgegeben, es zu unterlassen, unaufgefordert E-Mails an die dienstlichen E-Mail-Adressen der Mitarbeiter der Klägerin ohne vorangegangene Aufforderung oder Einverständnis der Klägerin zu senden.
  2. Den Beklagten zu 1), 2) und 3) wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1 die Verhängung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR (in Worten: Zweihundertfünfzigtausend und 00/100 Euro) oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.

Die Beklagten haben die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Unterlassung der Benutzung der für ihre Arbeitnehmer betrieblich eingerichteten E-Mail-Postfächer für gewerkschaftliche Werbung. Die Klägerin ist ein Dienstleistungsunternehmen der Informationstechnologie für die Finanzbranche mit Hauptsitz in A. Sie beschäftigt in mehreren Standorten bundesweit ca. 3.300 Mitarbeiter. Die Beklagte zu 1) ist eine der größten Gewerkschaften in Deutschland mit ca. 2,3 Millionen Mitgliedern. Der Beklagte zu 2) ist der Landesbezirksleiter des Landesbezirks B der Beklagten zu 1). Der Beklagte zu 3) ist Bundesfachgruppenleiter der Beklagten zu 1), zuständig für den Bereich der Sparkassen.

Die Klägerin verfolgte Anfang 2007 ein so genanntes Standortkonzept, welches die Schließung mehrerer Standorte und insb. die Versetzung von Arbeitnehmern vorsah. Die Beklagten zu 2) und 3) versandten im Namen der Beklagten zu 1) am 12. Februar 2007 ungefähr 3.300 gleichlautende E-Mails an die Mitarbeiter der Klägerin. Hierzu waren sie von den einzelnen Mitarbeitern nicht aufgefordert worden. Die E-Mail informierte über den gewerkschaftlichen Standpunkt zu dem Konzept der Klägerin, Verhandlungsziele, insbesondere das Verlangen nach einem Firmentarifvertrag, die weitere Vorgehensweise und benannte für die Gewerkschaft verhandelnde Personen und Kontaktmöglichkeiten. In der E-Mail war ein Link als „Replay-Adresse” für Reaktionen angegeben. Außerdem befand sich am Ende des Textes ein weiterer Link, mit dem sich ein Empfänger automatisch aus dem Verteiler löschen konnte. Zur vollständigen Wiedergabe des Inhalts der E-Mail wird auf die Anlage zur Klageschrift Bezug genommen (Anlage AS 4 zur Klageschrift, Bl. 11 bis 114 der Akte).

Die Klägerin hatte der Beklagten zu 1) die dienstlichen E-Mail-Adressen ihrer Mitarbeiter nicht zur Verfügung gestellt. Die Adressen der Arbeitnehmer sind nach dem Muster: „Vorname.Nachname@Domain des Arbeitgebers” gebildet. Mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Februar 2007 mahnte die Klägerin die Beklagte zu 1) ab und forderte sie und die in der Anrede aufgeführten Beklagten zu 2) und 3) auf, eine strafbewährte Unterlassungserklärung in Bezug auf die Zusendung von E-Mails an Mitarbeiter und/oder die Weitergabe der E-Mail-Adressen abzugeben (vgl. Anlagenkonvolut AS 6 zur Klageschrift, Bl. 140 bis 142 der Akte). Dieser Aufforderung kamen die Beklagten nicht nach.

Mit Antrag vom 5. März 2007 beantragte die Klägerin bei dem Landgericht Frankfurt am Main eine einstweilige Verfügung, gerichtet auf das Unterlassen von E-Mail-Sendungen sowie auf die Verbreitung der E-Mail-Adressen. Das Landgericht Frankfurt am Main wies den gegen die Beklagten dieses Verfahrens sowie außerdem den C Landesbezirk B gerichteten Antrag durch Beschluss vom 7. März 2007 zurück. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hob das Oberlandesgericht Frankfurt am Main durch Beschluss zum 28. März 2007 diesen Beschluss auf und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Frankfurt am Main.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat am 12. April 2007 die beantragte einstweilige Verfügung gegen die nunmehrigen Beklagten zu 1) bis 3) erlassen (– 11 Ga 60/07 –). Der gegen den Landesbezirk B gerichtet Antrag wurde als unzulässig zurückgewies...

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