Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Anforderungen an die Berufungsbegründung. Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO bei nicht fristgemäßer Auskunftserteilung nach Art. 15 i.V.m Art. 12 DSGVO. Schadensbegriff i.S.d. Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Schätzung des Ausmaßes des Verschuldens des Arbeitgebers beim Schadensersatzanspruch aus Art. 15 DSGVO

 

Leitsatz (amtlich)

Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird nicht dadurch erschüttert, dass die Arbeitnehmerin am letzten Tag ihrer Erkrankung am Reitstall angetroffen wird.

Mit der Anschlussberufung kann ein vom Arbeitsgericht übergangener Anspruch geltend gemacht werden, wenn ein fristgerechter Antrag nach § 321 ZPO unterblieben ist (BAG 15.11.2012 - 6 AZR 373/11-Juris).

Allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen der (ehemaligen) Arbeitnehmerin nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht innerhalb der Frist des Art. 12 Abs. 3 DSGVO nachkommt, begründet einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO, ohne, dass es darauf ankommt, ob ein "konkreter" Schaden nachgewiesen wird (vgl. BAG EuGH-Vorlage vom 26.08.2021 - 8 AZR 253/20 (A) - NZA 2021,1713). Dass insoweit kein Schaden in Rede steht, der aus der aus der Verarbeitung von Daten resultiert, steht dem Schadensersatzanspruch nicht entgegen (offengelassen BAG 11.05.2023 -2 AZR 363/21- Juris).

Das Ausmaß des Verschuldens des Arbeitgebers ist bei der Höhe des nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu schätzenden Schadensersatzanspruchs zu berücksichtigen (vgl. BAG EuGH-Vorlage vom 26.08.2021 - 8 AZR 253/20 (A) - NZA 2021,1713).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu, den der Arbeitgeber nur erschüttern kann, wenn er begründete Zweifel an der Richtigkeit der ausgestellten Bescheinigung darlegen und im Bestreitensfall beweisen kann. Gelingt ihm dies, trifft den Arbeitnehmer eine erweiterte Darlegungslast zu den Ursachen der Arbeitsunfähigkeit.

2. Die Berufungsbegründung muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen.

 

Normenkette

BGB § 626; DSGVO Art. 4, 6, 12-13, 15, 82; ZPO § 287 Abs. 1 S. 2, § 520 Abs. 3 S. 2; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 29.11.2021; Aktenzeichen 10 Ca 321/21)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 29.11.2021 – 10 Ca 321/21 – teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Antrags auf Schadensersatz wegen Verletzung von Art. 13 DSGVO vollständig abgewiesen.

lm Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 29.11.2021 – 10 Ca 321/21 – teilweise abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 1.000 Euro Schadensersatz wegen Verletzung der Auskunftspflicht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO zu zahlen. Im Übrigen wird die Anschlussberufung zurückgewiesen.

Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 77% und der Beklagte 23% zu tragen. Von den Kosten der Berufung hat die Klägerin 81% und der Beklagte 19% zu tragen.

Die Revision wird für den Beklagten zugelassen, soweit über einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Auskunftspflicht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO entschieden worden ist. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der zweiten Instanz noch über eine außerordentliche, arbeitgeberseitige Kündigung und um Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen Verletzung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Die 1997 geborene Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 1. März 2021 als Rechtsanwaltsfachangestellte beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt betrug 2.300 Euro.

Der Beklagte, in dessen Kanzlei regelmäßig weniger als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten tätig sind, sprach der Klägerin gegenüber unter dem 30. August 2021, der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, die außerordentliche, hilfsweise die ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin aus, wobei das Schreiben insoweit das Datum 13. September 2021 nennt.

Der Beklagte hat im Zusammenhang mit dem gegen die Klägerin erhobenen Kündigungsvorwurf des Arbeitszeitbetrugs wegen Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit ein Strafverfahren angestrengt.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat der Klage durch Urteil vom 29. November 2021 hinsichtlich des beschränkten...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge