Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitskampfrisiko

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arbeitnehmer, den der Arbeitgeber nicht beschäftigen kann, weil der Betrieb/die Dienststelle bestreikt wird, trägt das Lohnrisiko, wenn die im Betrieb/der Dienststelle vertretene Gewerkschaft den Streik führt – (Revision zugelassen).

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1, § 615 S. 1, §§ 323, 293 ff.

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 02.02.1993; Aktenzeichen 7 Ca 573/92)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 31.01.1995; Aktenzeichen 1 AZR 142/94)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Kassel vom 2. Februar 1993 – 7 Ca 573/92 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von Vergütung für die Tage 28. und 29. April und 04. bis 07. Mai 1992, an denen die Verwaltung der Beklagten bestreikt wurde, in Höhe von 802,88 DM brutto.

Die am 29. Juli 1955 geborene Klägerin ist seit dem 7. Juli 1981 bei der Beklagten als Kinderpflegerin tätig, jedenfalls in der fraglichen Zeit in der von dieser unterhaltenen Kindertagesstätte Mönchebergstraße. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich kraft einzelvertraglicher Vereinbarung nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ändernden, ergänzenden und ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung. Die Vergütung der Klägerin erfolgt nach Vergütungsgruppe V c BAT. An den genannten Tagen fand im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland ein u.a. von der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) getragener Arbeitskampf statt, der auch Teile der Verwaltung der Beklagten erfaßte. Im Rahmen der von der Gewerkschaft beschlossenen und durchgeführten Arbeitsniederlegungen wurden alle 27 Kindertagesstätten der Beklagten bestreikt, in denen infolgedessen der Betrieb zum Erliegen kam. Etwa 80 v. H. der Mitarbeiterinnen der Kindertagesstätten der Beklagten nahmen aktiv am Streik teil. Die Eingänge der Kindergärten waren verschlossen, und die Gewerkschaft hatte Streikposten aufgestellt. Die Klägerin, die keinem der am Arbeitskampf beteiligten Arbeitnehmerverbände angehört, erschien am 28. und 29. April 1992 an der Kindertagesstätte … und meldete sich, da eine Arbeit nicht möglich war, bei der Verwaltung der Städtischen Kliniken. Nachdem ihr keine Arbeit zugewiesen wurde, bot sie ihre Arbeitsleistung ab dem 4. Mai 1992 telefonisch im Rathaus der Beklagten an, wo ihre Telefongespräche von einer Mitarbeiterin entgegengenommen wurden. Ab dem 4. Mai 1992 vereinbarte die Beklagte mit der örtlichen Streikleitung der Gewerkschaft ÖTV die Durchführung eines Notdienstes für den Bereich der Kindertagesstätten. Dieser wurde in den vier über das Stadtgebiet der Beklagten verteilten Kindergärten … und … organisiert und von Arbeitnehmerinnen der Beklagten aufrechterhalten, die die Streikleitung ausgewählt und der Beklagten in Form einer Liste mitgeteilt hatte. Die Klägerin befand sich nicht darunter. Die Beklagte zog der Klägerin von der monatlichen Vergütung für den Monat April 1992 264,24 DM brutto und von der für den Monat Mai 1992 538,62 DM brutto, zusammen 802,22 DM brutto, ab. Nachdem die Beklagte die Zahlung diese Betrags abgelehnt hat, verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der der Beklagten am 16. Oktober 1992 zugestellten Klage weiter.

Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, ihr stehe, obwohl sie nicht gearbeitet habe, der Vergütungsanspruch für die fragliche Zeit aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu. Der Arbeitnehmer habe bei einem Arbeitskampf das Lohnrisiko nur dann zu tragen, wenn anderenfalls das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien beeinträchtigt werde. Es sei nicht ersichtlich, daß das durch eine Lohnzahlung an sie der Fall sei. Die Beklagte habe dafür sorgen müssen, daß sie in einem der Notdienste habe eingesetzt werden können.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 802,88 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, es komme nicht darauf an, ob der Einsatz der Klägerin tatsächlich möglich gewesen sei. Auf den Einsatz der Klägerin im Rahmen des Notdienstes habe sie keinen Einfluß gehabt, weil dessen Organisation allein Sache der streikführenden Gewerkschaft gewesen sei.

Das Arbeitsgericht in Kassel hat die Klage mit einem am 02. Februar 1993 verkündeten Urteil – 7 Ca 573/92 (Bl 18–25 d. A.), das der Klägerin am 09. März 1993 zugestellt worden ist, abgewiesen. Zu dem Inhalt des Urteils wird auf die angegebenen Blätter der Akte Bezug genommen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 08. April 1993 Berufung eingelegt und am 10. Mai 1993, einem Montag, begründet.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihre erstinstanzlich geäußerte Rechtsauffassung und beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 02. Februar 1993, Az.: 7 Ca 573/92, die Beklagte z...

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