Entscheidungsstichwort (Thema)

Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts durch eine tarifvertragliche Regelung zum Übergangsgeld. Ü-VersTV-Lotsen

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine tarifliche Regelung, die zum Erlöschen der Ansprüche auf Übergangsversorgung für Mitarbeiterinnen führt, die vorzeitige Altersrente für Frauen in Anspruch nehmen können, stellt eine nicht gerechtfertigte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts dar.

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 20.05.2009, 2/8 Sa 1649/07, das vollständig dokumentiert ist.

 

Normenkette

AGG § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 05.09.2007; Aktenzeichen 5 Ca 217/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.02.2011; Aktenzeichen 9 AZR 585/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 5. September 2007 – 5 Ca 217/07 – abgeändert

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres – dh. für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni 2008 – Übergangsgeld nach dem Tarifvertrag über die Übergangsversorgung für die bei der … beschäftigten … im … (Ü-VersTV-FDB) vom 7. Juli 1993 in der jeweils gültigen Fassung zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiterhin um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer tariflichen Übergangsversorgung bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres der Klägerin.

Die am 7. Juni … geborene Klägerin war seit November … als … in bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin tätig. Die Beklagte ist ein aus der ehemaligen Bundesanstalt für Flugsicherung hervorgegangenes privates Flugsicherungsunternehmen. Sie nimmt die operativen Flugsicherungsaufgaben für den gesamten deutschen Luftraum wahr. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag über die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (im Folgenden: MTV) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. § 45 MTV enthält zur Ausschlussfrist folgende Regelung:

  1. Gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Entstehung schriftlich gelten gemacht werden. Die Frist verkürzt sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf sechs Monate.

Aufgrund der tarifvertraglich vereinbarten Altersgrenze in § 10 Abs. 2 der Sonderregelungen für die Flugsicherungsdienste (SR-FS-Dienste) (Bl. 12 d.A.) endete das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit Vollendung des 59. Lebensjahres der Klägerin am 30. September 2005. Auf der Grundlage des zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF e.V.) geschlossenen Tarifvertrags über die Übergangsversorgung für die bei der … beschäftigten … (im Folgenden: Ü-VersTV-FDB), dessen allgemeine Voraussetzungen zum Bezug von Übergangsgeld die Klägerin erfüllt, erhielt sie in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2005 Übergangsgeld, zuletzt in Höhe von EUR … brutto (= EUR … netto).

Der Ü-VersTV-FDB in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 19. Oktober 2004 (wegen dessen Einzelheiten im Übrigen auf Bl. 13-18 d.A. Bezug genommen wird) enthält auszugsweise folgende Regelungen:

§ 1 Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für alle … im … – einschließlich der … im …, die aus den operativen …-Diensten in andere Tätigkeiten gewechselt sind –, die in einem Arbeitsverhältnis mit der … (im Folgenden …) stehen und unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages in der jeweils geltenden Fassung fallen.

§ 4 Arbeitslosigkeit

Für die Zeit des Bezugs von Übergangsgeld nach Ausscheiden aus den Diensten der … verpflichten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sie nicht arbeitslos zu melden.

§ 7 Erlöschen und Ruhen des Anspruchs

(1) Der Anspruch auf Übergangsgeld erlischt

  1. mit Beginn des Monats, in dem ab der/die ausgeschiedene Mitarbeiterin/Mitarbeiter Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art beanspruchen kann.

(2) Der Anspruch erlischt auch dann nach Absatz 1 Buchstabe a, wenn Altersrente oder ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art nur mit Abschlägen wegen vorzeitiger Inanspruchnahme bezogen werden können. Solange dies für Frauen mit einem geringeren Lebensalter als für Männer möglich ist, werden weibliche FDB, die am 01. November 2002

  • in einem aktiven Beschäftigungsverhältnis mit der … stehen oder
  • sich in der Übergangsversorgung nach diesem Tarifvertrag befinden und spätestens am 01.01.2003
  • das 51. Lebensjahr vollendet haben,
  • am 01.01.2003 nicht älter als 59 Jahre sind (Ziffer 10 b SR FS-Dienste) und
  • sozialversicherungspflichtig Übergangsversorgung nach diesem Tarifvertrag bis zum frühestmöglichen Renteneintritt bezogen haben bzw. beziehen werden

durch Zahlung eines Rentenverlustausgleichs (brutto) hinsichtlich ihrer Gesamtversorgung aus Altersrente und …- Altersruhegeld so gestellt, wie ein vergleichbarer männlicher Lotse ge...

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