Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfungsmaßstäbe für den betrieblichen Geltungsbereich des VTV im Baugewerbe. Rohrleitungsbau als baugewerbliche Tätigkeit. Spezialtätigkeiten an Rohrleitungen als Anlagenbau

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV ist in dessen § 1 Abs. 2 geregelt. Danach unterfallen ihm Betriebe des Baugewerbes. Das sind solche Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich entweder Bauten aller Art erstellen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt I) oder gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die der Erstellung, Instandhaltung, Instandsetzung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt II) oder die gewerblich sonstige bauliche Leistungen durchführen (§ 1 Abs. 2 Abschnitt III). Zu den erfassten betrieblichen Tätigkeiten zählen unter anderem die in § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV in Form von Tätigkeitsbeispielen aufgezählten Einzeltätigkeiten. Ein Betrieb ist dann dem Baugewerbe im tariflichen Sinne zuzuordnen, wenn seine betrieblichen Tätigkeiten entweder in der Einzelaufstellung (§ 1 Abs. 2 Abschnitt V) genannt sind oder unter die allgemeinen Bestimmungen der Abschnitte I bis III des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Für die Frage, ob im Betrieb des Arbeitgebers vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasste Tätigkeiten verrichtet worden sind, ist auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer und nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst, aber auch nicht auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 19. Februar 2014 - 10 AZR 428/113 - AP Nr. 351 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau m.w.N.). Betriebe, die überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV genannten Tätigkeiten ausführen, fallen unter dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Den baugewerblichen Tätigkeiten ebenfalls zuzuordnen sind dabei diejenigen Vor-, Nach- und Hilfsarbeiten, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen in Zusammenhang stehen.

2. Unter den Begriff des Rohrleitungsbaus ist auch die Instandhaltung, also die Reparatur und Sanierung von Rohrleitungen zu fassen. Nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV erbringen Baubetriebe Leistungen, die der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Diese Begriffsbestimmung liegt grundsätzlich auch den in Abschnitt V genannten Beispielen zugrunde. Obwohl etwa in Nr. 5 die Betonsanierung gesondert erwähnt wird, können Sanierungsarbeiten auch im Übrigen zum Tätigkeitsbild der in Abschnitt V genannten Beispiele gehören (BAG 17. November 2010 a.a.O.).

3. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Mitarbeiter der Beklagten zumindest nicht arbeitszeitlich überwiegend unmittelbar Rohrleitungsbauarbeiten ausgeführt haben. Der Kläger trägt hierzu vor, dass der Schwerpunkt der Arbeiten der Beklagten in der Herstellung einer abgeschotteten Öffnung und der Schaffung einer Bypass Einrichtung für die Umleitung des Inhalts der Rohrleitung um die drucklos zu stellende Strecke herum sei. Diese Tätigkeiten stellen jedoch keinen Rohrleitungsbau im Sinne der tariflichen Vorschrift dar. Auch die von den Mitarbeitern der Beklagten teilweise gelegten Bypässe führen nicht dazu, von Rohrleitungsbau auszugehen zu können. Zum einen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass Bypässe nicht immer erforderlich sind, zum anderen, dass deren Auf- und Abbau arbeitszeitlich betrachtet mit ca. 3 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit unbedeutend ist. Entscheidender ist jedoch, dass das temporäre Verlegen der Bypässe lediglich im Zusammenhang mit den prägenden Tätigkeiten an der Hot-Tapping-Maschine und dem Stopplegerät stehen. Insoweit bedarf es einer Abgrenzung zwischen dem Rohrleitungsbau einerseits und dem Anlagenbau andererseits. Hierfür ist von Bedeutung, ob die Tätigkeiten schwerpunktmäßig Qualifikationen eines Berufsbildes aus dem Bereich der industriellen Metallberufe (z.B. Anlagenmechaniker/in) oder aus dem Bereich der Bauwirtschaft (z.B. Rohrleitungsbauer/in) erfordern (BAG 21. Januar 2015 - 10 AZR 55/14 - NZA-RR 2015, 307).

 

Normenkette

VTV-Bau; SokaSiG § 7; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. I; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. II; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. III; VTV SOKA Bau § 1 Abs. 2 Abschn. IV

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 11.07.2017; Aktenzeichen 12 Ca 38/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.04.2021; Aktenzeichen 10 AZR 144/19)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 11. Juli 2017 - 12 Ca 38/17 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen an die Sozialkassen des Baugewerbes.

Der Kläger ...

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