Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutz im Arbeitsverhältnis auch ohne tatsächliche Arbeitsaufnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Das Kündigungsverbot gemäß § 17 Abs. 1 MuSchG gilt auch bei einer Kündigung vor Dienstantritt.

 

Normenkette

MuSchG § 17 Abs. 1; BGB § 134; MuSchG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Urteil vom 03.05.2018; Aktenzeichen 3 Ca 46/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen 2 AZR 498/19)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 03.05.2018 – 3 Ca 46/18 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Eingreifen des Kündigungsverbots des Gesetzes zum Schutz von Müttern bei der Arbeit.

Der Beklagte betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei. Er beschäftigt in der Regel nicht mehr als 10 Arbeitnehmer/innen. Am 09./14.12.2017 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag über eine Teilzeittätigkeit der Klägerin als Rechtsanwaltsfachangestellte. Das Arbeitsverhältnis sollte am 01.02.2018 mit einer sechsmonatigen Probezeit beginnen, während derer beiderseitig mit einer Frist von zwei Wochen hätte gekündigt werden können. Ferner verpflichtete sich die Klägerin, im Falle einer schuldhaften Nichtaufnahme oder vertragswidrigen Beendigung der Tätigkeit eine Vertragsstrafe in Höhe eines Gesamtmonatseinkommens zu zahlen. Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages im Einzelnen wird auf die Kopie – Blatt 4 bis 9 der Akten – Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 18.01.2018 setzte die Klägerin den Beklagten über die Feststellung ihrer Schwangerschaft in Kenntnis und unterrichtete ihn darüber, dass aufgrund einer chronischen Vorerkrankung „mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot“ attestiert worden sei. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf die Kopie – Blatt 11 der Akten – verwiesen. Daraufhin kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 30.01.2018 das Arbeitsverhältnis zum 14.02.2018. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage. Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils – Blatt 47, 48 der Akten – Bezug genommen.

Mit dem am 03.05.2018 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 30.01.2018 beendet wurde. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils – Blatt 49, 50 der Akten – Bezug genommen. Gegen das am 01.06.2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 08.06.2018 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 03.09.2018 auf rechtzeitigen Antrag hin – mit dem beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 03.09.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Beklagte verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klageabweisungsbegehren weiter. Er meint nach wie vor, dass die Kündigung nicht gegen das Kündigungsverbot des Mutterschutzgesetzes verstoße. Der Kündigungsschutz nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG sei gem. § 1 Abs. 2 S. 1 MuSchG in Verbindung mit § 7 SGB IV erst eröffnet, wenn neben der Begründung des Arbeitsverhältnisses durch einen Arbeitsvertrag die tatsächliche Dienstaufnahme bei dem Arbeitgeber durch Tätigkeitsaufnahme nach dessen Weisungen sowie eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers hinzugekommen seien. Die Auslegung des Kündigungsverbots durch das Arbeitsgericht führe nach Abwägung von Art. 6 Abs. 4 GG und Art. 12 Abs. 1 GG zu einem unzulässigen Eingriff in seine Berufsausübungsfreiheit. Im Übrigen verstoße das mit der Berufung verfolgte Verständnis des § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG nicht gegen Unionsrecht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 03.05.2018 – 3 Ca 46/18 – abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung am 13.06.2019 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist als Bestandstreitigkeit ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. b, 8 Abs. 2 ArbGG statthaft und gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Kündigung des Beklagten vor Dienstantritt ist zwar vertraglich nicht ausgeschlossen. Sie ist aber gem. § 134 BGB nichtig, da sie mangels behördlicher Zustimmung gem. § 17 Abs. 2 MuSchG gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG verstößt.

I.

Grundsätzlich kann ein Arbeitsver...

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