Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilnahme eines Unternehmens, das Wintergärten herstellt, am Sozialkassenverfahren des Baugewerbes. Zulässigkeit der Begründung der geltend gemachten Ansprüche mit Rechtsgrundlagen aus dem SokaSiG erstmals im Berufungsverfahren. Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Unternehmen, das überwiegend mit der Erstellung von Wintergärten befasst ist, nimmt am Sozialkassenverfahren des Baugewerbes teil, da es sich jeweils um eine Änderung eines bestehenden Bauwerks und damit um eine baugewerbliche Tätigkeit i.S. von § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV handelt.

2. Die erstmalige Berufung einer Sozialkasse auf Bestimmungen des SokaSiG in der Berufungsinstanz stellt keine Änderung des Streitgegenstandes dar und ist ohne Weiteres zulässig.

3. Das SokaSiG unterliegt trotz der geregelten Rückwirkung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Orientierungssatz

Unbegründete Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, mit welchem einer Beitragsklage nach dem VTV-Bau stattgegeben wurde. Anwendung des SokaSiG unter Bezugnahme auf 10 Ta 524/16 und 10 Sa 907/16. Ablehnung einer Änderung des Streitgegenstands bei Wechsel der Anspruchsgrundlage von Allgemeinverbindlicherklärung + VTV Bau zu SokaSiG + VTV Bau.

 

Normenkette

VTV § 1 Abs. 2 Abschn. II; SokaSiG

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 21.08.2013; Aktenzeichen 3 Ca 1337/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 08.05.2019; Aktenzeichen 10 AZR 559/17)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 21. August 2013 - 3 Ca 1337/11 - wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils der erkennenden Kammer vom 15. März 2017 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt neu gefasst wird:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 119.518,24 EUR (in Worten: Einhundertneunzehntausend-fünfhundertachtzehn und 24/100 Euro) zu zahlen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 7% und der Beklagte 93% zu tragen. Ausgenommen von dieser Kostenentscheidung sind die Kosten, welche auf die Säumnis des Klägers im Termin vom 15. März 2017 zurückgehen. Diese Kosten hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Zahlungsverpflichtungen nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes verpflichtet.

Der Beklagte betreibt einen Gewerbebetrieb, dessen Zweck auf die Herstellung und Montage von Wintergärten und Überdachungen gerichtet ist. Er ist nicht Mitglied eines der tarifschließenden Verbände des Baugewerbes.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Grundlage der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV 1999), vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 20. August 2007, vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 05. Dezember 2007 und vom 18. Dezember 2009 (VTV 2009) auf Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte für den Zeitraum von Dezember 2006 bis Januar 2011 in Höhe von zuletzt insgesamt 119.518,24 EUR in Anspruch. Hinsichtlich der gewerblichen Arbeitnehmer hatte der Kläger die erstinstanzlich geltend gemachte Beitragssumme i.H.v. 126.259,17 EUR aufgrund eines Prüfberichts der Arbeitsverwaltung berechnet, zuletzt berechnet er sie auf Grundlage von Eigenmeldungen des Beklagten i.H.v. 118.155,09 EUR. Hinsichtlich der Angestellten macht er die tarifvertraglich für den jeweiligen Forderungszeitraum vorgesehenen Festbeträge in einem Gesamtumfang von 1.387,- EUR geltend, wobei er von der Beschäftigung eines Angestellten ausgeht.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte unterhalte einen baugewerblichen Betrieb und sei daher zur Zahlung von Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte entsprechend den tariflichen Regelungen der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe verpflichtet. Hierzu hat er behauptet, dass die im Betrieb des Beklagten beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer in den Kalenderjahren 2006 bis 2011 arbeitszeitlich überwiegend, d.h. zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammengerechnet auch mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausgemacht habe, bauliche Leistungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt II bzw. im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 42 VTV in Form des Einbaus von genormten, aus dem Handel bezogenen Baufertigteilen (Vordächer, Terrassenüberdachungen) sowie der Montage von Wintergärten ausgeführt hätten.

Der Kläger hat weiterhin die Auffassung vertreten, die im Klagezeitraum geltenden Fassungen des VTV seien jeweils wirksam für allgemein verbindlich erklärt worden und ein Grund für die Aussetzung des Rechtsstreits sei nicht gegeben.

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 127.646,17 EUR zu zahlen.

Der Beklagte hat die Abweisung der Klage bean...

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