Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung ändert Inhalt des Arbeitsvertrages nicht. Bezugnahme auf doppelte Schriftformklausel nicht treuwidrig. Vorrang individueller Vertragsbestimmungen auch gegenüber festgestellten Schriftformklauseln

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Vorrang von Individualabreden in Abgrenzung zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen macht die betriebliche Übung selbst nicht zu einer Individualabrede.

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1; BGB § § 305b, 307 Abs. 1 S. 1, § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Urteil vom 31.08.2018; Aktenzeichen 9 Ca 64/18)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 31. August 2018 – 9 Ca 64/18 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Stücklohn.

Der am xx.xx 1966 geborene Kläger ist seit 1. April 2015 als Paketzusteller bei der Beklagten nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 5. Februar 2015 (Bl. 4-6 der Akte) beschäftigt.

Dessen Ziffer 7 lautet:

Betriebs- und Arbeitsordnungen

Der Arbeitnehmer erkennt hiermit die für den Betrieb der Arbeitgeberin jeweils geltenden Betriebs-und Arbeitsordnungen an. (…)

Ziffer 10 Arbeitsvertrag lautet:

Änderungen des Arbeitsvertrages

Nebenabreden und Änderungen dieses Vertrages, die nicht auf einer individuellen Vereinbarung beruhen, bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für die Aufhebung des Schriftformerfordernisses. Sind einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam, so wird hierdurch die Wirksamkeit des übrigen Vertrages nicht berührt.

Jede Vertragspartei erhält eine Ausfertigung dieses zweifach ausgefertigten Vertrages.

Im Betrieb bestand eine Vergütungsordnung, in deren Ziffer 4 geregelt war, dass der Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis eine Stücklohnvereinbarung schließen kann; insoweit wird auf Bl. 53-56 der Akte Bezug genommen. Insoweit bestand die Möglichkeit des Abschlusses einer Nebenabrede, die die Zahlung von Stücklohn vorsah (Bl. 7, 8 der Akte). Eine solche schloss der Kläger jedoch nicht ab. Gleichwohl erhielt er von Beginn an für jede ausgelieferte Sendung A Info Post oder Päckchen einen Stücklohn i.H.v. 0,43 € sowie für die erste bei einer Abholstelle abgeholte Paketsendung einen Stücklohn i.H.v. 0,35 € und für jede weitere bei einer Abholstelle abgeholte Paketsendung 0,05 €. Zum 31. Dezember 2017 stellte die Beklagte die Zahlung von Stücklohn ein. Am 23. März 2018 vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der Übernahme zusätzlicher Leistungen (Bl. 57 der Akte). Diese trat am 1. April 2018 in Kraft.

Deren § 2 Nr. 1 bestimmt:

Arbeitnehmer können auf freiwilliger Basis zusätzliche Leistungen auf Basis der Anlage 1 beigefügten individuellen Vereinbarung vereinbaren. Voraussetzung für den Abschluss dieser Vereinbarung ist, dass der Arbeitnehmer einen entsprechenden Antrag gemäß Anlage 2 stellt.

Einen Antrag nach § 2 Nr. 1 S. 2 Betriebsvereinbarung vom 23. März 2018 stellte der Kläger nicht.

Mit seiner am 26. März 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn über den 28. Februar 2018 hinaus Stücklohnvergütung zu leisten.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Tatbestand (Bl. 66-68 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. September 2018 zugestellt. Er hat dagegen am 16. Oktober 2018 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 19. Dezember 2018 am 19. Dezember 2018 begründet.

Der Kläger behauptet, er sei -ebenso wie zahlreiche andere Kollegen- bis zum 31. März 2015 befristet bei der B beschäftigt gewesen. Aufgrund einer Umstrukturierung sollten der Kläger und seine Kollegen zur neu gegründeten Beklagten wechseln. Am 6. Februar 2015 sei dem Kläger sein aktuell gültiger Arbeitsvertrag vorgelegt worden. Er sei alleine –so wie alle anderen Kollegen auch- in ein Büro gebeten worden. Die Begleitung durch ein Betriebsratsmitglied oder eine andere Person sei ihm verwehrt worden. Ihm sei der Arbeitsvertrag vorgelegt worden. Er habe darum gebeten, diesen mitnehmen zu dürfen, um ihn in Ruhe zu prüfen. Dies sei ihm nicht gestattet worden. Ihm sei gesagt worden, er solle den Vertrag an Ort und Stelle durchlesen und dann unterzeichnen. Auf seine Frage, was passiere wenn er nicht unterzeichne, sei ihm gesagt worden, dann laufe sein befristeter Vertrag aus. Weiterer Inhalt des Gesprächs sei die Stücklohnvereinbarung gewesen. Die Zahlung dieser Beträge sei dem Kläger mündlich zugesagt worden und sodann in der Zeit vom 1. April 2015 bis 28. Februar 2018 gezahlt worden. Der Kläger ist der Ansicht, es verstoße gegen Treu und Glaub...

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