Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung. Abgrenzung betriebliche Übung und irrtümliche Zahlung einer übertariflichen Leistung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Irrtum eines Arbeitgebers über den Umfang seiner Verpflichtungen aus einem arbeitsrechtlichen Kollektivvertrag kann der Annahme einer betrieblichen Übung entgegenstehen, wenn es an einem entsprechenden Bindungswillen fehlt.

2. Davon ist jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn der Arbeitgeber durch gesonderte Ausweisen der zusätzlichen Zahlungen zum Ausdruck gebracht hat, er leiste diese Zuwendungen über die auf Grund Tarifvertrag bzw. Betriebsvereinbarung geschuldeten hinaus vorbehaltlos und auf Dauer.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 151

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 07.10.2010; Aktenzeichen 7 Ca 133/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 29.08.2012; Aktenzeichen 10 AZR 571/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 07. Oktober 2010 - 7 Ca 133/10 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen eines sogenannten Pilotverfahrens über Sonderzuwendungen aus Dienstzeitzuschlägen.

Der Kläger war seit 1985 als Busfahrer zunächst bei der A beschäftigt, nach der Übernahme der Verkehrsbetriebe durch die B mit Wirkung vom 01. Juli 1990 und durch die Beklagte mit Wirkung vom 01. Januar 1999 besteht das Arbeitsverhältnis mit dieser fort.

Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses zahlte die Arbeitgeberin an den Kläger und die übrigen Busfahrer eine jährliche Weihnachtszuwendung, die sich zunächst aus § 17 Abs. 1 des zwischen der C und D abgeschlossenen Rahmentarifvertrags (im Folgenden: RTV AVE) vom 01. Juli 2002 ergab, seit dem 01. Mai 2006 aus dem gleichlautenden § 14 Abs. 1 des Nachfolgetarifvertrags vom 31. März 2006. Darin heißt es:

"Die Arbeitnehmer erhalten anlässlich des Weihnachtsfestes eine Weihnachtszuwendung mindestens in Höhe von 60% der laufenden Arbeitsbezüge eines Monats. Diese Weihnachtszuwendung erhöht sich im zweiten Dienstjahr auf 80% und im dritten Dienstjahr auf 100% der laufenden Arbeitsbezüge eines Monats."

Die "laufenden Arbeitsbezüge" definierte der RTV AVE in der bis zum 30. April 2006 geltenden Fassung in § 9 Abs. 2 wie folgt:

"Die laufenden Arbeitsbezüge bestehen aus der nach dem Vergütungstarifvertrag für die regelmäßige Arbeitszeit zu zahlenden Tabellenvergütung sowie aus etwaigen, ständig wiederkehrenden Arbeitszulagen und -zuschlägen (z.B. Dauerzulagen, Schichtzulagen, Fahrdienstzulagen, ständige Prämien). Nur zeitweise zu zahlende Arbeitsbezüge (z.B. stundenweise anfallende Zeit- und Erschwerniszuschläge) rechnen nicht zu den laufenden Bezügen, es sei denn, dass sie pauschaliert sind. [...]"

Der dem entsprechende § 8 Abs. 2 RTV AVE in der seit dem 01. Mai 2006 geltenden Fassung lautet wie folgt:

"Die laufenden Arbeitsbezüge bestehen aus der nach dem Vergütungstarifvertrag für die regelmäßige Arbeitszeit zu zahlenden Tabellenvergütung sowie aus etwaigen, ständig wiederkehrenden Arbeitszulagen und -zuschlägen (z.B. Dauerzulagen, Schichtzulagen). Nur zeitweise zu zahlende Arbeitsbezüge (z.B. stundenweise anfallende Zeitzuschläge nach § 10 und Erschwerniszuschläge) rechnen nicht zu den laufenden Bezügen, es sei denn, dass sie pauschaliert sind. [...]"

Außerdem zahlte die Rechtsvorgängerin und zahlt die Beklagte an die bei ihr beschäftigten Busfahrer jedenfalls seit 1991 eine weitere jährliche Sonderzuwendung auf Grund der Betriebsvereinbarung Nr. 20, zuletzt neu gefasst am 01. Januar 1992 (Bl. 116 d.A.). Darin heißt es u.a.:

"Die Sonderzuwendung beträgt 100% der laufenden Arbeitsbezüge gem. § 9 Abs. 2 Rahmentarifvertrag ohne Sozialzulagen im Monat Dezember des Geschäftsjahres, für das die Sonderzuwendung gewährt wird. Sie wird mit der Aprilvergütung des folgenden Jahres ausgezahlt."

Der Kläger und die anderen bei der Beklagten beschäftigten Busfahrer erhielten jedenfalls seit 1991 bis zum Jahr 2005 vorbehaltlos jeweils Weihnachts- und Sonderzuwendungen, die höher als die im Tarifvertrag und in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen waren. Die Beklagte wies in den Entgeltabrechnungen für November neben der tariflichen Weihnachtszuwendung jeweils eine Weihnachtszuwendung aus Dienstzeitzuschlägen ("Weihnachtszuw.a.D-Zusch") und in den April-Abrechnungen jeweils eine Sonderzuwendung aus Dienstzeitzuschlägen ("Sonderzuw. aus D-Zuschl.) gesondert aus. Exemplarisch wird auf die Abrechnungen für November 2005 und April 2006 (Bl. 13f d.A.) verwiesen.

Ab November 2006 zahlte die Beklagte nur noch die tariflich vorgesehene Weihnachtszuwendung und ab April 2007 nur noch die in der Betriebsvereinbarung vorgesehene Sonderzuwendung.

Mit seiner Klage macht der Kläger die zusätzlichen Weihnachtszuwendungen aus Dienstzeitzuschlägen für die Jahre 2006, 2007, 2008 und 2009 sowie die zusätzlichen Sonderzuwendungen aus Dienstzeitzuschlägen für die Jahre 2007, 2008 und 2009 in unstreitiger Höhe geltend.

Vorprozessual hatten die Parteien sich zunächst darauf verstä...

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