Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerentsendung. Portugal. Entgeltfortzahlung. Sozialkasse

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der Berufungsinstanz kann ohne Anschlussberufung von der Auskunfts- zur Leistungsklage übergegangen werden, soweit die Voraussetzungen von § 264 ZPO vorliegen (Anschluss an BAG 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – NZA 2003, 734, 736).

2. Für aus Portugal für maximal 12 Monate entsandte gewerbliche Arbeitnehmer, die über eine Bescheinigung gemäß VO (EWG) Nr. 1408/71 verfügen, sind keine Sozialkassenbeiträge gemäß § 18 VTV-Bau aus Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EFZG zu entrichten, wenn diese Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt sind, da diese Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit keine Leistungen ihres Arbeitgebers, sondern Leistungen der stattlichen portugiesischen Pflichtversicherung erhalten.

Auch an gesetzlichen Feiertagen in Deutschland entsteht hinsichtlich dieser Arbeitnehmer keine Beitragspflicht.

 

Normenkette

AEntG § 1; TVG Tarifverträge: Bau § 1; EWGV 1408/71

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 29.10.2009; Aktenzeichen 4 Ca 3844/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.04.2012; Aktenzeichen 10 AZR 200/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 29. Oktober 2009 – 4 Ca 3844/08 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über einen Auskunftsanspruch insbesondere hinsichtlich der Höhe der monatlichen beitragspflichtigen Bruttolöhne sowie darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger Mindestbeiträge für aus Portugal nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer für Zeiten zu entrichten, an denen die Arbeit wegen eines gesetzlichen Feiertages oder wegen der unverschuldeten Erkrankung der Arbeitnehmer ausfiel.

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütungen zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer an den Kläger zu zahlen. Den Beitragseinzug regelte im Anspruchszeitraum der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in seiner jeweiligen Fassung. Der Kläger hat die Beklagte erstinstanzlich auf Erteilung der tarifvertraglich vorgesehenen Auskünfte und in der Berufungsinstanz Klage erweiternd auf Zahlung restlicher Mindestbeiträge in Anspruch genommen.

Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung portugiesischen Rechts, die arbeitszeitlich überwiegend Rohbauarbeiten ausführt. Sie nimmt mit den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern seit 1996 am Sozialkassenverfahren teil. Hinsichtlich der in den Jahren 2007 und 2008 entsandten baugewerblichen Arbeitnehmer gab die Beklagte u. a. für die Zeiträume Oktober 2007 bis Dezember 2007 sowie für die Monate April, Mai und Oktober 2008 Monatsmeldungen gegenüber dem Kläger ab. In diesen Monatsmeldungen waren u. a. die an die einzelnen Arbeitnehmer gezahlten Bruttolöhne aufgeführt. Zugleich gab die Beklagte in den Monatsmeldungen „Tage ohne Lohn” an, in denen sie die deutschen Feiertage und die Arbeitsunfähigkeitstage ihrer Arbeitnehmer vermerkte. Wegen des Inhalts der von der Beklagten abgegebenen Monatsmeldungen wird auf Blatt 61 bis 82 d. A. Bezug genommen. Die Beklagte zahlte an den „Tagen ohne Lohn” an ihre Arbeitnehmer keine Vergütung. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit trat die staatliche portugiesische Pflichtversicherung A. ein. Diese erbringt ab dem dritten Krankheitstag bzw. im Falle eines Krankenhausaufenthalts ab dem ersten Krankheitstag Leistungen an die Arbeitnehmer. Die Leistungen werden über ein Umlageverfahren finanziert, in welches die Arbeitnehmer 11% und die Arbeitgeber 23,75 % des Bruttoarbeitsentgelts einzahlen. Die in Deutschland geltenden arbeitsfreien Feiertage wurden von der Beklagten als Ausgleich für die Einhaltung der zulässigen Höchstarbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz genutzt.

In der Folgezeit stritten die Parteien darüber, ob wegen der angegebenen „Tage ohne Lohn”, für die kein Beitrag von der Beklagten an den Kläger abgeführt wurde, der Beklagten Erstattungsleistungen zustünden. Insoweit schlossen die Parteien einen Teil-Vergleich, wegen dessen Inhalt auf Blatt 137 d. A. Bezug genommen wird.

Für die Zeiträume Oktober 2007 bis Dezember 2007 und April 2008, Mai 2008 sowie Oktober 2008 errechnete der Kläger auf der Basis von Mindestbeiträgen für die „Tage ohne Lohn” einen Beitrag in Höhe von EUR 2.519,15, der zwischen den Parteien rechnerisch nicht streitig ist.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, d...

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