Revision mit Berichtigungsbeschluss

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung. Vorläufiger Insolvenzverwalter. Stilllegungsabsicht

 

Leitsatz (amtlich)

Kündigt der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (sog. Starker vorläufiger Insolvenzverwalter) die Arbeitsverhältnisse der bei der Schuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer wegen geplanter Stilllegung, ist die Kündigung unwirksam, wenn die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Betriebsstilllegung gemäß 22 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO nicht im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegt (so bereits LAG Düsseldorf Urteil vom 08. Mai 2003 – 10 (11) Sa 246/03 – NZA-RR 03, 466 im Anschluss an BAG, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 8 ABR 44/99 – NZA 00, 1180, 1184).

 

Normenkette

KSchG § 1; InsO § 22

 

Verfahrensgang

ArbG Hanau (Urteil vom 20.11.2003; Aktenzeichen 2 Ca 495/03)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.10.2005; Aktenzeichen 6 AZR 5/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 20. November 2003 – 2 Ca 495/03 – teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 24. Juni 2003 nicht aufgelöst wurde.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. die Klägerin war bei-dieser (im folgenden: Schuldnerin) seit dem 01. April 1998 als Buchhalterin gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 2.002,00 EUR beschäftigt. Die Schuldnerin unterhielt einen Betrieb, in dem sie mit PKW der Marken Alfa Romeo, Fiat und Lancia handelte und Reparaturen durchführte. Sie beschäftigte mehr als fünf Arbeitnehmer.

Gemäß Beschluss des Amtsgerichts Hanau vom 30. April 2003 – 70 IN 111/03 – wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Der Schuldnerin wurde ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Nach Ziffer 3 a dieses Beschlusses sollte der Beklagte das Unternehmen, das die Schuldnerin betrieb, „bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stillegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden”. Wegen des Inhalts des Beschlusses im Übrigen wird auf Bl. 34 f d.A. Bezug genommen.

Aufgrund des Insolvenzantrags kündigte der Fiat-Konzern im April 2003 sämtliche Geschäftsbeziehungen mit der Schuldnerin.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2003 (Bl. 9 d.A.), das der Klägerin am nächsten Tag zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der damals 35-jährigen unverheirateten Klägerin zum 31. August 2003. Nachträglich dehnten die Parteien die Kündigungsfrist einvernehmlich bis zum 30. September 2003 aus. Gleichzeitig wurde auch allen anderen Arbeitnehmern gekündigt.

Unter dem Datum des 25. Juni 2003 erstattete der Beklagte ein Insolvenzgutachten, das die Weiterführung des Betriebs ausschloss und die Abwicklung bis zum 31. Juli 2003 vorsah. Wegen des Inhalts dieses Gutachtens wird auf Bl. 57–75 d.A verwiesen.

Am 01. Juli 2003 eröffnete das Amtsgericht Hanau das Insolvenzverfahren und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter (Bl. 5 d.A.).

Mit Rundschreiben vom 02. Juli 2003 bot der Beklagte anderen Autohäusern die Betriebs- und Geschäftsausstattung zum Kauf an.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Hanau am 16. Juli 2003 eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung, die sie für sozial ungerechtfertigt hält. Sie hat die Auffassung geäußert, es lägen keine betriebsbedingten Kündigungsgründe vor, da der Beklagte vorgehabt habe, den Betrieb zu veräußern. Außerdem könne er sich nicht auf eine etwaige Stilllegungsabsicht berufen, da es hierzu der Zustimmung des Insolvenzgerichts bedurft hätte.

Mit Klageerweiterung vom 22. September 2003 hat sich die Klägerin darüber hinaus auch gegen eine weitere vorsorgliche Kündigung vom 04. September 2003 zum 31. September 2003 gewandt.

Die Klägerin hat beantragt

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 24. Juni 2003 nicht aufgelöst wird,
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 04. September 2003 nicht aufgelöst wird.

Der Beklagte hat beantragt

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe die Stilllegungsabsicht bereits festgestanden. Einer Weiterführung des Betriebs sei durch die Kündigung der Geschäftsbeziehungen von Seiten des Fiat-Konzerns die Grundlage entzogen gewesen. Das Rundschreiben an die anderen Autohäuser bestätige nur die Stilllegungsabsicht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil vom 20. November 2003, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl 84–88 d.A.), richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin greift das erstinstanzliche Urteil insbeso...

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