keine Angaben zur Rechtskraft

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

außerordentliche Kündigung. Beleidigung. Vorgesetzter. Lüge. Schwerbehinderung. Sonderkündigungsschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Außerordentliche Kündigung eines Sachbearbeiters für Bauleitplanung, der zu seinem Vorgesetzten sagte: „Sie lügen, wie Sie das immer machen.”

2. Zum Bedeutungsinhalt des Verbs „lügen”.

3. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Äußerung des Klägers überlegt erfolgte und nicht im Rahmen einer emotional geprägten Auseinandersetzung.

 

Normenkette

BGB § 626; SGB IX §§ 91, 85; SGB IX 69 I 2

 

Verfahrensgang

ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 12.10.2005; Aktenzeichen 5 Ca 162/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 12. Oktober 2005 – 5 Ca 162/05 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen sowie um Annahmeverzugsansprüche.

Die Beklagte ist eine Stadt in Südhessen. Der am 15. Oktober 1957 geborene, ledige Kläger ist seit 01. Juni 1993 als Verwaltungsangestellter bei der Beklagten beschäftigt. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 01. Juni 1993 (Bl. 9, 10 d. A.) wird Bezug genommen. Danach bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). Der Kläger erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe III BAT. Er wird als Sachbearbeiter für Bauleitplanung beschäftigt. Der Kläger ist Ersatzmitglied des bei der Beklagten gebildeten Personalrats und nahm zuletzt am 30. Juni 2004 an einer Sitzung der Personalvertretung teil.

Am 25. September 2003 bat der stellvertretende Fachbereichsleiter der Beklagten den Kläger zu einem Gespräch. Dabei hielt dieser dem Kläger vor, dass er eine Frist zur Abgabe einer Projektliste versäumt habe. Ferner wurde der Kläger mit mehreren Aktenvermerken konfrontiert, die eine Mitarbeiterin der Fachdienstleitung 13 angefertigt hatte. Der Kläger erklärte, dass es sich bei dem Anfertigen der Aktenvermerke und dem Zitieren daraus um Stasi-Methoden handele. Wegen dieser Äußerung erteilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 20. Oktober 2003 eine Abmahnung. Seine auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte gerichtete Klage wurde vom Arbeitsgericht Offenbach am Main mit Urteil vom 28. April 2004 abgewiesen. Die vom Kläger hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Hessischen Landesarbeitsgericht am 18. März 2005 zurückgewiesen (3 Sa 1072/04). Vom 13. September 2004 bis 28. Februar 2005 erbrachte der Kläger wegen Urlaub, Krankheit und Kur keine Arbeitsleistung. Nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit fanden am 01., 04. und 07. März 2005 Personalgespräche zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, Herrn A, und einer Kollegin, Frau B, statt, wobei streitig ist, ob der Kläger bereits am 01. März 2005 oder erst am 04. März 2005 aufgefordert wurde, am 08. März 2005 an einem Fachseminar mit dem Thema „Aktuelle Entwicklungen des Städtebaurechts” in C teilzunehmen. Dies lehnte der Kläger wegen privater Termine ab und deswegen, weil er warten wolle, bis ein entsprechendes Seminar in der Nähe seines Wohnorts angeboten würde. In dem Gespräch vom 07. März 2005 forderten Herr A und Frau B den Kläger auf, mitzuteilen, um welche privaten Termine es sich handele, um die privaten Belange des Klägers mit den dienstlichen Interessen an der Seminarteilnahme abzuwägen. In diesem Zusammenhang äußerte Herr A, der Kläger habe bereits im Sommer 2004 ein Seminarangebot abgelehnt. Ob der Kläger darauf, gerichtet an seinen Vorgesetzten, erwiderte, er lüge, wie er das immer machen würde oder ob er erklärte: „Das ist gelogen, wie so manches Andere auch”, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 14. März 2005 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Am 15. März 2005 stellte der Kläger beim Hessischen Amt für Versorgung und Soziales einen Antrag auf Feststellung der Eigenschaft als schwer behinderter Mensch nach § 69 SGB IX. Mit Schreiben vom 17. März 2005 (Bl. 14, 15 d. A.) widersprach der Personalrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Unter dem 18. März 2005 (Bl. 11 bis 13 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Bis zu diesem Termin rechnete sie das Arbeitsverhältnis ab und zahlte dem Kläger Arbeitsentgelt. Mit Schreiben vom 05. April 2005 beantragte die Beklagte beim Landeswohlfahrtsverband Hessen die Zustimmung zu einer (weiteren) außerordentlichen Kündigung, die mit Bescheid vom 19. April 2005 (Bl. 52 ff. d A.) erteilt wurde. Unter dem 19. April 2005 (Bl. 21 bis 23 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut fristlos.

Mit Bescheid vom 31. Mai 2005 (Bl. 87 f d. A.) wurde ein Grad der Behinderung von 30 für den Kläger festgestellt. Auf den Widerspruch des Klägers stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales mit Bes...

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