Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfüllungseinwand bei Zwangsvollstreckung eines Weiterbeschäftigungstitels. Weisungsrecht des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Weisungsrecht des Arbeitgebers bei Vorliegen eines Weiterbeschäftigungstitels. Keine materielle Anspruchsprüfung im Zwangsvollstreckungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung eines Weiterbeschäftigungstitels nach § 888 ZPO ist der Einwand der Erfüllung beachtlich.

2. Die Existenz eines Weiterbeschäftigungstitels schließt die Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber nicht aus.

3. Es ist nicht Aufgabe des Zwangsvollstreckungsverfahrens zu prüfen, welche Tätigkeiten dem Arbeitnehmer vertragsgerecht zugewiesen werden können. Im Vollstreckungsverfahren ist zu überprüfen, ob der Gläubiger der Verpflichtung aus dem Titel entsprechend beschäftigt wird, nicht aber, worin diese Verpflichtung besteht.

 

Leitsatz (redaktionell)

Grundsätzlich ist das Weisungsrecht nach § 106 GewO sehr weitgehend. Der Arbeitgeber konkretisiert die Arbeitspflicht durch Ausübung des Weisungsrechts nach billigem Ermessen, wenn diese zwar dem Umfang nach, aber im Übrigen im Arbeitsvertrag hinsichtlich Inhalt, Ort und Zeit der zu erbringenden Arbeitsleistung nur rahmenmäßig umschrieben ist.

 

Normenkette

ZPO § 888; GewO § 106; BGB § 362 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Entscheidung vom 07.02.2023; Aktenzeichen 2 Ca 302/21)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 7. Februar 2023 - 2 Ca 302/21 - aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Zwangsvollstreckungsverfahrens trägt der Gläubiger.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Frage, ob der Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung seine Weiterbeschäftigung während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses verlangen kann.

Zwischen den Parteien war ein Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel anhängig. Mit Urteil vom 12. April 2022 hat das Arbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag des Gläubigers stattgegeben und die Schuldnerin verurteilt, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als kaufmännischen Leiter weiter zu beschäftigen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Position des kaufmännischen Leiters wird auf die zur Akte gereichten Stellenbeschreibung Anl. AG5 Bl. 461 f. der Akte verwiesen. Die vollstreckbare Ausfertigung ist am 22. April 2022 erteilt worden.

Dieses Urteil ist der Schuldnerin am 26. April 2022 zugestellt worden. Am gleichen Tag hat sie hiergegen Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren - 8 Sa 643/22 - ist vor dem Landesarbeitsgericht noch anhängig.

Das Arbeitsgericht Kassel hat mit Beschluss vom 6. Juli 2022 ein Zwangsgeld i.H.v. 7.073,48 Euro festgesetzt. Hiergegen hat die Schuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 5. September 2022 - 10 Ta 328/22 - hat das Landesarbeitsgericht die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 28. Februar 2023 - 8 AZB 17/22 - die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2022 hat der Gläubiger einen erneuten Antrag nach § 888 ZPO zur Durchsetzung der titulierten Pflicht zur Weiterbeschäftigung gestellt.

Er hat vorgetragen, die Beitreibung des ersten Zwangsgelds habe nicht zu seiner Weiterbeschäftigung geführt. Am 24. November 2022 sei das verhängte Zwangsgeld in Höhe von 7.073,28 Euro - insoweit unstreitig - gezahlt worden.

Die Schuldnerin hat vorgetragen, das Zwangsgeld überschreite den gesetzlichen Rahmen. Es fehle an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil derzeit Verhandlungen über ein Ausscheiden des Mehrheitsgesellschafters aus der GmbH liefen. Die Weiterbeschäftigung des Gläubigers sei unmöglich geworden, weil es den Arbeitsplatz infolge einer unternehmerischen Entscheidung gemäß Gesellschafterbeschluss vom 18. Juli 2022 nicht mehr gäbe. Der Arbeitgeberin stünde es frei, auch nach einem Weiterbeschäftigungstitel eine Organisationsmaßnahme zu treffen.

Mit Beschluss vom 7. Februar 2023 hat das Arbeitsgericht ein Zwangsgeld in Höhe von diesmal 10.610,22 Euro festgesetzt. Dieser Beschluss ist der Schuldnerin am 8. Februar 2023 zugestellt worden. Hiergegen hat die Schuldnerin am 22. Februar 2023 sofortige Beschwerde eingelegt.

Ab März 2023 ist der Gläubiger bei der Schuldnerin weiterbeschäftigt worden. Die Parteien streiten nun über die Frage, ob die Beschäftigung dem Titel gemäß als kaufmännischer Leiter erfolgt.

In der Beschwerdeinstanz meint die Schuldnerin, dass ihr die Weiterbeschäftigung des Gläubigers unmöglich geworden sei, weil dessen Arbeitsplatz als kaufmännischer Leiter weggefallen sei. Der Arbeitsplatz sei infolge einer Organisationsentscheidung entfallen. Gleichwohl habe sie dem Gläubiger angeboten, weiterbeschäftigt zu werden. Sie verweist auf ein Schreiben vom 3. März 2023, wonach sich der Gläubiger am 8. März 2023 in einem Büro in A zu melden habe. Der überlassene Laptop sei funktionsfähig ...

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