Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsvollstreckung zur Durchsetzung der Weiterbeschäftigung. Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung im Zwangsvollstreckungsverfahren. Keine Prüfung neuer materiell-rechtlicher Einwendungen des Schuldners im Zwangsvollstreckungsverfahren. Rechtliche Möglichkeiten des Schuldners zur Abwehr einer Zwangsvollstreckung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren kann grundsätzlich nicht überprüft werden, ob die Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers infolge einer nach Erlass des Urteils in der ersten Instanz ausgesprochenen zweiten Kündigung unmöglich geworden ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Unmöglichkeit unstreitig oder offenkundig ist.

2. Das Gleiche gilt, wenn sich der Arbeitgeber auf eine nachträgliche Organisationsentscheidung beruft, infolge deren Umsetzung der Arbeitnehmer angeblich nicht mehr beschäftigt werden kann, oder wenn der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag gestellt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung handelt es sich um die Verurteilung zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung. Diese kann gemäß § 888 ZPO im Wege der Zwangsvollstreckung erzwungen werden.

2. Ist der Schuldner der Auffassung, gegen den im Zwangsvollstreckungsverfahren durchsetzbaren Anspruch des Gläubigers gebe es neue Einwendungen, kann er Vollstreckungsgegenklage erheben oder seine Einwendungen in einem Berufungsverfahren vorbringen.

 

Normenkette

ZPO § 888; ArbGG § 62 Abs. 1 Sätze 2-3; KSchG § 9; ZPO §§ 707, 719 Abs. 1, §§ 767, 769

 

Verfahrensgang

ArbG Kassel (Entscheidung vom 06.07.2022; Aktenzeichen 2 Ca 302/21)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 28.02.2023; Aktenzeichen 8 AZB 17/22)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 6. Juli 2022 - 2 Ca 302/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Frage, ob der Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung seine Weiterbeschäftigung während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses verlangen kann.

Zwischen den Parteien war ein Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel anhängig. Mit Urteil vom 12. April 2022 hat das Arbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag des Gläubigers stattgegeben und die Schuldnerin verurteilt, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als kaufmännischen Leiter weiter zu beschäftigen. Die vollstreckbare Ausfertigung ist am 22. April 2022 erteilt worden.

Dieses Urteil ist der Schuldnerin am 26. April 2022 zugestellt worden. Am gleichen Tag hat sie hiergegen Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren - 8 Sa 643/22 - ist vor dem Landesarbeitsgericht noch anhängig.

Mit Schreiben vom 9. Mai 2022 hat die Schuldnerin einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG gestellt.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2022 hat der Gläubiger einen Antrag nach § 888 ZPO zur Durchsetzung der titulierten Pflicht zur Weiterbeschäftigung gestellt.

Die Schuldnerin hat gemeint, dass Arbeitsverhältnis sei erheblich gestört. Es sei eine Front innerhalb der Belegschaft aufgebaut worden, die eine Hälfte unterstütze den Geschäftsführer, die andere Hälfte den Gläubiger. Hinsichtlich der zur Akte gereichten eidesstattliche Versicherung des Arbeitnehmers A wird Bezug genommen auf Bl. 349 der Akte. Durch den Auflösungsantrag bestünde erneut eine Ungewissheit über die Pflicht zur Weiterbeschäftigung im Kündigungsrechtsstreit.

Das Arbeitsgericht Kassel hat mit Beschluss vom 6. Juli 2022 ein Zwangsgeld i.H.v. 7.073,48 Euro festgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung lägen vor. Auch der Auflösungsantrag würde nicht zur Unmöglichkeit der Beschäftigung führen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Entscheidung der ersten Instanz wird Bezug genommen auf Bl. 350 - 353 der Akte. Diese Entscheidung ist der Schuldnerin am 7. Juli 2022 zugestellt worden. Gegen diese Entscheidung hat die Schuldnerin mit Schriftsatz vom 18. Juli 2022 sofortige Beschwerde eingelegt.

Im Berufungsverfahren hat die Schuldnerin den Antrag gestellt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Kassel einstweilen einzustellen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Gläubiger und der Schuldnerin, insbesondere dem Geschäftsführer, zerstört sei. Der Gläubiger habe mit einem Großteil der Minderheitsgesellschafter gegen den Geschäftsführer intrigiert und versucht, diesen „loszuwerden“. Streit herrsche zwischen dem Gläubiger und dem Geschäftsführer insbesondere in der Frage, ob die Schuldnerin die Fa. B bzw. deren Geschäftsanteile kaufen soll. Bezüglich der zur Akte gereichten eidesstattliche Versicherung des Herrn C wird verwiesen auf Bl. 241 der Akte.

Das Landesarbeitsgericht hat in dem Berufungsverfahren durch Beschluss vom 8. August 2022 - 8 Sa 643/22 - den Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen.

In der Beschwerdeinst...

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