Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmungsrecht. Betriebliche Ordnung. Formularmäßiges Auskunftsverlangen über Fortsetzungserkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

Verlangt der Arbeitgeber von einem bestimmten Kreis seiner Arbeitnehmer, deren Krankheitszeiten innerhalb eines Bezugszeitraumes 6 Wochen überschreiten, formularmäßig die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung darüber, ob eine Fortsetzungserkrankung i. S. von § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG vorliegt, so besteht für diese Verfahrensweise ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Zf. 1 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 06.12.2000; Aktenzeichen 3 B V 4/00)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 6.12.2000 – Az. 3 BV 4/00 – abgeändert.

2. Der Bet. zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, privat krankenversicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren aufaddierte Krankheitstage sechs Wochen übersteigen, mittels eines formularmäßigen Anschreibens aufzufordern, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen zwei oder mehreren Krankheiten, solange der Bet. zu 1) nicht zugestimmt hat bzw. eine Ersetzung der Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt.

3. Der Bet. zu 2) wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung gem. Ziffer 2) des Beschlusses ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,– DM, ersatzweise Haft ihrer gesetzlichen Vertretungsorgane angedroht.

4. Die Rechtsbeschwerde wird für die Bet. zu 2) zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1. (im Folgenden: Betriebsrat) bezüglich der Art und Weise, in der die Beteiligte zu 2. (im Folgenden: Arbeitgeberin) das Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen bei ihren Mitarbeitern feststellt.

Der Betriebsrat vertritt die etwa 40 Arbeitnehmer, die die Arbeitgeberin in ihrer Vertriebsdirektion in Wiesbaden beschäftigt. Von ihnen sind 6 privat krankenversichert. Ergeben sich bei einem dieser Mitarbeiter zusammengerechnet mehr als 6 Wochen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, so wendet die Arbeitgeberin sich mit einem Formschreiben an ihn. Darin teilt sie mit, dass sie von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen ausgehe, weshalb ein Gehaltsanspruch nur noch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehe, von dem an Krankengeld bei der Krankenversicherung zu beantragen sei. Weiter heißt es in dem Formschreiben:

Sollte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Erkrankungen nicht vorliegen, bitten wir Sie, umgehend die unten stehende Erklärung von Ihrem Arzt einzuholen und urschriftlich der Personalabteilung zuzustellen.

Wegen des vollständigen Inhalts dieses Schreibens wird ergänzend auf Bl. 4 d.A. Bezug genommen.

Für den Bereich der Arbeitgeberin gilt eine Gesamtbetriebsvereinbarung „Verhalten bei Arbeitsverhinderung” vom 10.09.1997 (Bl. 30 d.A.).

Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 09.08.2000, auf dessen Inhalt ebenfalls ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 5 f. d.A.), die Auffassung vertreten hatte, dass die dargestellte Vorgehensweise der Arbeitgeberin gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sei und auf dieses Schreiben keine Antwort erhalten hatte, hat er das anhängige Beschlussverfahren eingeleitet und aufgrund seiner Rechtsauffassung beantragt,

  1. der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzufordern, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen zwei oder mehreren Krankheiten, solange der Betriebsrat nicht zugestimmt hat bzw. eine ersetzende Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt;
  2. der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung gemäß dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00, ersatzweise Haft ihrer gesetzlichen Vertretungsorgane, anzudrohen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie meint, ihre vom Betriebsrat angesprochene Praxis beinhalte keine Regelung der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG, da keine Verhaltensregelung zur Sicherung des ungestörten Arbeitsablaufs oder zur Gestaltung des Zusammenlebens und des Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb aufgestellt werde. Vielmehr gehe es ihr allein darum, festzustellen, ob eine Fortsetzungserkrankung bestehe oder nicht, um die Entgeltfortzahlungsansprüche der Arbeitnehmer ermitteln zu können. Anders als bei den gesetzlich Krankenversicherten habe sie bei dem hier in Frage stehenden Personenkreis nicht die Möglichkeit, die Krankenkassen um eine Auskunft gem. § 69 Abs. 4 SGB X zu bitten.

Mit am 06.12.2000 verkündetem Beschluss hat das Arbeitsgericht Wiesbaden – 3 BV 4/00 – die Anträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Arbeitgeberin mit ihrer Verfahrensweise nicht gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § ...

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