Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Verpflichtung des Gerichts bei Prozesskostenhilfe. Rechtzeitige Antragstellung und Auslegung. Prozesskostenhilfe und Vergleichsmehrwert

 

Leitsatz (amtlich)

1. Prozesskostenhilfe wird für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bewilligt, § 114 Abs 1 ZPO. Dies schließt zwar unter bestimmten Umständen eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss der Instanz nicht aus, setzt aber jedenfalls voraus, dass der Antrag vor Abschluss der Instanz gestellt bzw. beim Gericht eingegangen ist, ggf. auch nach Abschluss des Vergleichs vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung oder während des Laufs einer Widerrufsfrist.

2. Die Auslegung oder die Annahme eines konkludenten oder stillschweigenden Antrags setzt allerdings voraus, dass ein entsprechend geäußerter Parteiwille aus bei Antragstellung vorliegenden Umständen erkennbar wird.

3. § 139 ZPO betrifft nur die materielle Prozessleitung im Hinblick auf den Streitgegenstand. Es besteht keine generelle Verpflichtung des Gerichts, Prozesskostenhilfeantragsteller ständig zu betreuen. Ein unterbliebener Hinweis des Gerichts führt nicht dazu, dass eine zuvor erfolgte Prozesshandlung anders auszulegen sei.

 

Normenkette

ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, §§ 139, 278 Abs. 6 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Entscheidung vom 25.09.2013; Aktenzeichen 2 Ca 149/13)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 25. September 2013, 2 Ca 149/13, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagte, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (in der Folge: Beklagte) wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsmehrwert ablehnenden Beschluss des Arbeitsgerichts.

Die Klägerin hatte ihr gegenüber Klage auf Zahlung von Vergütungsrückständen erhoben und diese mit Klageerweiterungen vom 05. Juni 2013 und zuletzt 02. Juli 2013, beim Arbeitsgericht am 08. Juli 2013 eingegangen, auf zuletzt 1.753,30 € nebst Zinsen, jeweils 350,66 € für die Monate Februar 2013 bis Juni 2013, erweitert. Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2013 hatte die Beklagte Prozesskostenhilfe beantragt und hierbei Nachreichung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angekündigt.

Im Gütetermin vom 10. Juli 2013 (Protokoll Bl. 38, 38R d.A.) schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Gießen einen Vergleich, wonach

- der Inhaber der Beklagten der Klägerin für Juni 2013 991,94 € netto zahlt

- er ihr für Februar 2013 bis Mai 2013 1.402,64 € netto in zwei Raten zahlt

- er ihr ein inhaltlich näher vereinbartes qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilt

- er sich verpflichtet, ein Kfz Opel Corsa für eine Laufzeit von 36 Monaten bei monatlicher Leasingrate von 139,00 €, an der sich die Klägerin mit 19,00 € zu beteiligen hat, zu leasen und der Klägerin zu Verfügung zu stellen

- die Klägerin sich verpflichtet, Zug um Zug gegen Übergabe dieses Kfz Opel Corsa ein Kfz BMW 525 d herauszugeben.

Die Beklagte stellte im Gütetermin keinen Antrag, Prozesskostenhilfe auch für den Mehrvergleich zu bewilligen. Das Arbeitsgericht gab ihr im Gütetermin auf, bis 31. Juli 2013 Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Inhabers nachzureichen.

Nachdem dies erfolgte, bewilligte ihr das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2013 (Bl. 40 d.A.) Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung. Mit Beschluss vom 15. August 2013 setzte es den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren auf 1.051,98 € und für den Vergleich auf 17.900,43 € fest. Mit Schriftsatz vom 06. September 2013 (Bl. (B) 30 Beiheft Beklagte) beantragte die Beklagte, die Prozesskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs zu erstrecken.

Das Arbeitsgericht Gießen hat mit Beschluss vom 25. September 2013, 2 Ca 149/13, (Bl. (B) 31 Beiheft Beklagte) den Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsmehrwert zurückgewiesen, da der Antrag verspätet und erst nach Abschluss der Instanz gestellt worden sei.

Gegen diesen ihr am 08. Oktober 2013 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 09. Oktober 2013 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Sie räumt ein, einen ausdrücklichen Antrag für die über den Streitgegenstand hinausgehenden Regelungsgegenstände bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gestellt zu haben, meint, auch im Prozesskostenhilfeverfahren sei eine konkludente Antragstellung möglich, vertritt ferner die Auffassung, ihr Prozesskostenhilfeantrag sei der Auslegung zugänglich, und vertritt in diesem Zusammenhang ferner die Auffassung, mangels entgegenstehender Anhaltspunkte sei in der Regel davon auszugehen, dass eine Partei, die einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt habe, diesen auch auf den Mehrwert eines im weiteren Verlauf des Prozesses geschlossenen Vergleichs erstreckt wissen wolle, von dem weitere Gegenstände erfasst werden, die in sac...

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