Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausländerrecht

 

Verfahrensgang

VG Gießen (Beschluss vom 31.01.2005; Aktenzeichen 7 G 4434/04)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 31. Januar 2005 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren Verwaltungsgericht Gießen 7 E 5554/04 gegen den ausländerbehördlichen Bescheid vom 8. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2004 wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.

Der Antragsgegner hat die Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146, 147 Abs. 1 VwGO) und begründet.

Zu Recht macht der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen geltend, es spreche Überwiegendes dafür, dass er im Hauptsacheverfahren Erfolg haben werde. Die angefochtenen Verfügungen sind nämlich, wie der Antragsteller im Einzelnen darlegt, offensichtlich rechtswidrig.

Rechtlich unzutreffend ist bereits der Ausgangspunkt sowohl der Verfügung des Landrats des Wetteraukreises als auch des Widerspruchsbescheides. Die §§ 47 und 48 AuslG (jetzt: §§ 53 und 54 AufenthaltsG) scheiden als Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Antragstellers aus, weil er als in Deutschland geborenes Kind eines türkischen Arbeitnehmers die aufenthaltsrechtliche Position nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 inne hat. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 11.11.2004 – C 487/02, InfAuslR 2005, 13) ist inzwischen geklärt, dass auch volljährig gewordene Kinder eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaats angehört oder angehört hat, von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfasst werden, wenn diese im Aufnahmemitgliedstaat geboren sind und stets dort gewohnt haben und ferner, dass die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, die mit längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt verbunden ist, verloren gehen sowie schließlich, dass es Art. 14 ARB 1/80 gebietet, in diesen Fällen auch Tatsachen zu berücksichtigen, die nach dem Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides eingetreten sind und für den Betroffenen sich günstig auswirken (siehe zu dieser Rechtsprechung des EuGH bereits Hess. VGH, 29.12.2004, 12 TG 3649/04).

Hieraus ergibt sich, dass der Antragsteller, weil er ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzt, nur noch nach den für Unionsbürger geltenden materiellen Grundsätzen und nur noch auf der Grundlage einer ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung gem. §§ 45, 46 AuslG (jetzt: § 55 AufenthaltsG) ausgewiesen werden darf (siehe dazu im Einzelnen: BVerwG, 03.08.2004 – 1 C 29/02 –, InfAuslR 2005, 26, m.w.N. aus der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH). Diesen rechtlichen Grundsätzen entsprechen die beiden angefochtenen Bescheide nicht.

Sie können auch nicht als Ermessensausweisung (§ 45 Abs. 1 und 2 AuslG bzw. jetzt: § 55 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthaltsG) aufrechterhalten werden. Die Ausweisung des Antragstellers setzt schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG bzw. § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthaltsG) und kann ferner nach Maßgabe von Art. 14 ARB 1/80 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sein (s. auch § 55 Abs. 1 AufenthaltsG). Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn sich feststellen lässt, das Verhalten des Antragstellers bis zum heutigen Zeitpunkt begründe die Gefahr, er werde auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen. Eine derartige Feststellung lässt sich nach Auffassung des Senats nicht treffen.

Vielmehr spricht bezogen auf den heutigen Zeitpunkt (wahrscheinlich auch schon bezogen auf den Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides) Überwiegendes dafür, dass für den Antragsteller eine positive Prognose hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten zu stellen ist. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 hat die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Gießen beschlossen, die Vollstreckung der Reststrafe von vier Jahren zur Bewährung auszusetzen. Der Antragsteller hat seine schwerwiegenden Straftaten von Anfang an vollumfänglich gestanden und ernsthaft bereut. Dies ergibt sich aus den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und kann Bestätigung finden etwa in einem beschlagnahmten Brief des Antragsteller aus der Haftanstalt vom 16. Juni 2002, wo er sich mit seinen Taten und den Mitbeschuldigten auseinandersetzt (Bl. 182 Ausländerakte). Drogenprobleme hat der Antragsteller offenbar in der Haftzeit aus eigener Anstrengung und Kraft überwunden (siehe Vermerk der JVA Weiterstadt vom 23. April 2004 S. 5, Bl. 213 Ausländerakte). Er hat außerdem hinreichend glaubhaft gemacht, dass er nach Haftentlassung unmittelbar eine Arbeitsstelle bei der Firma … GmbH in Wiesbaden würde antreten können (Bescheinigung vom 20. September 2004, Bl. 51 Gerichtsakte) und dass eine Arbeitsaufnahme nur an der ungeklärten ausländerrechtlichen Situation s...

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