Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziierungsabkommen EWG. Türkei. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Artikel 7 Satz 1 und 14 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Aufenthaltsrecht des Kindes eines türkischen Arbeitnehmers nach seiner Volljährigkeit. Voraussetzungen für eine Abschiebungsverfügung. Strafrechtliche Verurteilungen

 

Beteiligte

Cetinkaya

Inan Cetinkaya

Land Baden-Württemberg

 

Tenor

1. Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem aufgrund des Abkommens über eine Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, ist dahin auszulegen, dass er die Situation einer volljährigen Person, die Kind eines türkischen Arbeitnehmers ist, der dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehört oder angehört hat, erfasst, obwohl diese im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gewohnt hat.

2. Artikel 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 lässt es nicht zu, dass die Rechte, die einem türkischen Staatsangehörigen in der Lage von Herrn Cetinkaya durch diese Bestimmung verliehen werden, nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, der sich eine Drogentherapie anschließt, wegen längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt beschränkt werden.

3. Artikel 14 des Beschlusses Nr. 1/80 verwehrt es den nationalen Gerichten, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer gegen einen türkischen Staatsangehörigen verfügten Ausweisungsmaßnahme nach der letzten Entscheidung der zuständigen Behörden eingetretene Tatsachen nicht zu berücksichtigen, die eine auf diese Bestimmung gestützte Beschränkung der Rechte des Betroffenen nicht mehr zulassen würden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Stuttgart (Deutschland) mit Beschluss vom 19. Dezember 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2002, in dem Verfahren

Inan Cetinkaya

gegen

Land Baden-Württemberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric sowie des Richters J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von I. Cetinkaya, vertreten durch C. Trurnit, Rechtsanwalt,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und A. Tiemann als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. C. Branco als Bevollmächtigte,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin und H. Kreppel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juni 2004,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 6, 7 und 14 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde aufgrund des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzt, das von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits am 12. September 1963 in Ankara unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage des türkischen Staatsangehörigen Cetinkaya gegen das Land Baden-Württemberg wegen eines Verfahrens zur Ausweisung aus Deutschland.

Rechtlicher Rahmen

Der Beschluss Nr. 1/80

3

Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

  • nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
  • nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
  • nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichg...

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