Das Wichtigste in Kürze:

1. § 265 bestimmt die Pflicht des Gerichts, den Angeklagten in der HV auf eine Änderung rechtlicher, tatsächlicher und auch verfahrensrechtlicher Gesichtspunkte hinzuweisen.
2. Ggf. bestehende Hinweispflichten werden nicht durch die Vorschrift des § 257c und den aus einer danach getroffenen Verständigung sich ergebenden Bindungen des Gerichts relativiert oder verdrängt.
3. § 265 verpflichtet das Gericht nicht zu einem Rechtsgespräch und/oder zur Information in einer Art "Zwischenverfahren" über die vorläufige Bewertung von Beweismitteln.
4. Der erste Anwendungsfall des § 265 ist die Anwendung eines anderen, nicht unbedingt schwereren, Strafgesetzes (Abs. 1).
5. Die Fragen der entsprechenden Anwendung des § 265 Abs. 1 auf die Fälle, in denen sich erst in der HV eine Änderung der gesamten Tatrichtung ergibt, davon aber der rechtliche Vorwurf unberührt bleibt, haben sich durch die Einführung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 erledigt.
6. Nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 ist ein Hinweis auch dann erforderlich, wenn sich erst in der HV vom Gesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, die die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen.
7. Nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 besteht eine Hinweispflicht, wenn das Gericht von einer in der HV mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will.
8. Nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 besteht eine Hinweispflicht, wenn der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
9. Das Gericht darf dem Angeklagten nicht nur einen pauschalen Hinweis erteilen, sondern muss ihn eindeutig und erschöpfend aufklären.
 

Rdn 2100

 

Literaturhinweise:

Abraham, "Umstände, die sich erst in der Verhandlung ergeben" – Was sind Nova im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO, HRRS 2020, 51

Bauer, Der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2003, 174

Gillmeister, Die Hinweispflicht des Tatrichters, StraFo 1997, 8

ders., Die Hinweispflicht des Tatrichters, in: Festgabe für Heino Friebertshäuser, 1997, S. 185

ders., Strafzumessung aus verjährten und eingestellten Straftaten, NStZ 2000, 344

Hänlein/Moos, Zur Reichweite und revisionsrechtlichen Problematik der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO, NStZ 1990, 481

König, Pazifische Phantasien – Ist das Gericht berechtigt, möglicherweise sogar verpflichtet, seine Sicht vom bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung offen zu legen?, in: Festgabe für Heino Friebertshäuser, 1997, S. 211

Krumm, Rechtlicher Hinweis im OWi-Verfahren, SVR 2011, 58

Küpper, Die Hinweispflicht nach § 265 StPO bei verschiedenen Begehungsformen desselben Strafgesetzes, NStZ 1986, 249

Li, Die Pflicht zum Hinweis auf eine Einziehung nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO, StPO 2021, 533

Marczak, Strafverteidigung und Fair Trial – gerichtliche Fürsorgepflicht und Missbrauchsverbot im Strafprozess, StraFo 2004, 373

Michel, Aus der Praxis: Die richterliche Hinweispflicht, JuS 1991, 850

Mösl, Zum Strafzumessungsrecht, NStZ 1981, 131

Neuhaus, Anpassung und Wechsel des Verteidigungsziels während der Hauptverhandlung, ZAP F. 22, S. 249

Niemöller, Die Hinweispflicht des Strafrichters, 1988

Scheffler, Rückkehr zur bisherigen Rechtsauffassung nach einem rechtlichen Hinweis gem. § 265 Abs. 1 StPO ohne erneuten Hinweis?, JR 1989, 232

Schlosser, Zur Notwendigkeit eines förmlichen Tatsachenhinweise bei veränderter Sachlage gem. § 254 Abs. 2 Nr. 3 StPO, NStZ 2020, 267

Schlothauer, Gerichtliche Hinweispflichten in der Hauptverhandlung, StV 1986, 213.

 

Rdn 2101

1.a) § 265 bestimmt die Pflicht des Gerichts, den Angeklagten in der HV auf eine Änderung rechtlicher, tatsächlicher und auch verfahrensrechtlicher Gesichtspunkte hinzuweisen. Die Vorschrift dient als ein gesetzlich geregelter Fall der (gerichtlichen) Fürsorgepflicht der Sicherung einer umfassenden Verteidigung des Angeklagten und soll ihn vor Überraschungen schützen (vgl. u.a. aus neuerer Zeit BGH, Beschl. v. 13.7.2018 – 1 StR 34/18, NStZ 2018, 673; Meyer-Goßner/Schmitt, § 265 Rn 2 m.w.N.; vgl. a. Marczak StraFo 2004, 373 und OLG Hamm NStZ 2017, 592). Dem will die StPO dadurch begegnen, dass es dem Angeklagten die Möglichkeit gibt, die Aussetzung der HV zu verlangen (→ Aussetzung wegen veränderter Sach-/Rechtslage, Teil A Rdn 607, mit Antragsmuster, Teil A Rdn 616). Wenn § 265 somit auch eine Vorschrift ist, die sich zunächst an das Gericht wendet, hat sie dennoch auch für den Angeklagten/Verteidiger Bedeutung, und zwar im Hinblick auf die Frage der Aussetzung und unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs. Einen unterlassenen, aber erforderlichen (rechtlichen) Hinweis kann der Angeklagte zudem in der Revision mit der Verfahrensrüge geltend machen.

 

Rdn 2102

b) § 265 ist 2017 durch das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" v. 17.8.2017 geändert/erweitert worden. Grundlage dieser Änderungen ist das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör...

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