Das Wichtigste in Kürze:

1. Die 1997 mit § 127b eingeführte sog. Hauptverhandlungshaft (im Folgenden kurz: HV-Haft) soll StA und AG zu einer verstärkten Nutzung des beschleunigten Verfahrens veranlassen.
2. § 127b berechtigt die StA und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer Tat Betroffenen oder Verfolgten u.a. dann, wenn eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich und aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass der Festgenommene der HV fernbleiben wird.
3. 127b räumt der StA und den Beamten des Polizeidienstes, die nicht Ermittlungspersonen der StA sein müssen, ein vorläufiges Festnahmerecht ein.
4. Nach der vorläufigen Festnahme ist der Festgenommene gem. § 128 dem Richter vorzuführen.
5. Der HB nach § 127b Abs. 2 kann in entsprechender Anwendung von § 116 außer Vollzug gesetzt werden.
 

Rdn 2618

 

Literaturhinweise:

Asbrock, Hauptsache Haft – Hauptverhandlungshaft als neuer Haftgrund, StV 1997, 43

Bandisch, Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des DAV zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Hauptverhandlung), StraFo 1996, 34

Fülber, Die Hauptverhandlungshaft, 2000

Grasberger, Verfassungsrechtliche Probleme der Hauptverhandlungshaft, GA 1998, 530

der Hauptverhandlungshaft, ZRP 1997, 227

ders., Gesetzesentwurf zur Hauptverhandlungshaft, AnwBl 1996, 83

Hellmann, Die Hauptverhandlungshaft gem. § 127b StPO, NJW 1997, 2145

Herzog, Symbolische Untersuchungshaft und abstrakte Haftgründe – Anmerkungen zur "Hauptverhandlungshaft", StV 1997, 215

Keller, Die Hauptverhandlungshaft, Krim 1998, 677

Stintzing/Hecker, Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft? – Der neue Haftgrund des "vermuteten Ungehorsams", NStZ 1997, 569

Wenske, 10 Jahre Hauptverhandlungshaft (§ 127b II StPO), NStZ 2009, 63

s.a. die Hinw. bei → Beschleunigtes Verfahren, Teil B Rdn 1137.

 

Rdn 2619

1. Die gem. § 127b zulässige sog. Hauptverhandlungshaft (im Folgenden kurz: HV-Haft) ist 1997 in die StPO eingefügt worden. Die Neuregelung war nicht nur im politischen Raum umstr., sondern wird/wurde auch in der strafverfahrensrechtlichen Lit. zumeist kritisch beurteilt (s. insbesondere Asbrock StV 1997, 43; Bandisch StraFo 1996, 34; Grasberger GA 1998, 530 ff.; Herzog StV 1997, 215d; Wenkse NStZ 2009, 63; krit. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 1 ff., AnwKomm-U-Haft/König, § 127b Rn 2 f.; und Schlothauer/Weider/Nobis, Rn 149, 220 ff.). Sie soll StA und AG zu einer verstärkten Nutzung des → Beschleunigten Verfahrens, Teil B Rdn 1136, veranlassen (vgl. die "Richtlinien zur Anwendung des beschleunigten Verfahrens nach den §§ 417 ff. StPO" des Landes Nordrhein-Westfalen [MinBl. NW 2002, S. 861]). Allerdings hat die Einführung des § 127b nicht die (Aus)Wirkung gehabt, dass → Beschleunigte Verfahren, Teil B Rdn 1136, an Häufigkeit zunehmen; das war befürchtet worden (zur Statistik Wenske NStZ 2009, 63 f.).

 

Rdn 2620

2. § 127b berechtigt die StA und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer Tat Betroffenen oder Verfolgten u.a. dann, wenn eine unverzügliche Entscheidung im → Beschleunigten Verfahren, Teil B Rdn 1136, wahrscheinlich und aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, dass der Festgenommene der HV fernbleiben wird. Die HV muss außerdem binnen einer Woche nach der Festnahme zu erwarten sein. Sinn und Zweck der Regelung ist es, StA und das AG zu einer stärkeren Nutzung des beschleunigten Verfahrens zu veranlassen, indem die Möglichkeit geschaffen wird, Täter vorläufig festzunehmen, auch wenn die Voraussetzungen des § 127a Abs. 1 oder 2 nicht vorliegen, und einen – auf einer Woche befristeten – HB zu erlassen, auch wenn dies nach §§ 112 ff. sonst nicht möglich wäre (BT-Drucks 13/2576, S. 1). Gerade an dieser Stelle setzen die von den Kritikern gegen die Neuregelung vorgebrachten Bedenken an: Da das beschleunigte Verfahren wegen der Strafobergrenze des § 419 Abs. 1 nur in Fällen der leichten bzw. mittleren Kriminalität anwendbar ist, wird in diesem Bereich die Möglichkeit von Haft eröffnet, die in schwerwiegenden Fällen nicht gegeben ist (zu den Bedenken insbesondere Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 2 f.; zur Unverhältnismäßigkeit Grasberger GA 1998, 532 ff.). Die "Richtlinien zur Anwendung des beschleunigten Verfahrens nach den §§ 417 ff. StPO" des Landes NRW (MinBl. NW 2002, S. 861) gehen in Nr. 3.1 davon aus, dass das → Beschleunigte Verfahren, Teil A Rdn 1137, mit HV-Haft bei Straftaten "von einigem Gewicht" in Betracht komme. Genannt werden Gewaltdelikte, wiederholt begangene Eigentums- und Vermögensdelikte, ausländer- und fremdenfeindliche Straftaten sowie Verstöße gegen ausländerrechtliche Bestimmungen. Das erscheint wegen der Strafobergrenze von einem Jahr nicht sehr realistisch.

 

Rdn 2621

3.a) § 127b räumt in Abs. 1 der StA und den Beamten des Polizeidienstes, die nicht → Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, Teil E Rdn 2321, sein müssen, zunächst ein vorläufiges Festnahmerecht ein (zum Verhältnis zu § 127 Hellmann...

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