1. Allgemeines

 

Rz. 58

Die Voraussetzungen der Ehescheidung sowie ihr Vollzug werden grundsätzlich an Art. 16 ZGB angeknüpft. Nach Art. 16 ZGB unterliegen die gerichtliche Trennung und die Ehescheidung dem Recht, das die persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten zum Zeitpunkt des Beginns des Trennungs- und Scheidungsverfahrens regelt. Die persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten richten sich nach

dem Recht der letzten gemeinsamen Staatsangehörigkeit während der Dauer der Ehe, soweit einer der Ehegatten diese noch beibehält;
hilfsweise dem Recht des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsortes während der Ehezeit;
äußerst hilfsweise dem Recht, mit dem die Ehegatten am engsten verbunden sind.
 

Rz. 59

Der Begriff "gerichtliche Trennung" umfasst sowohl die Trennung von Tisch und Bett als auch andere Rechtsinstitute, wobei nach gerichtlicher Entscheidung das Getrenntleben der Ehegatten gestattet wird, der Ehebund jedoch formal weiterbesteht.[101] Das Scheidungsstatut ist unwandelbar. Art. 16 ZGB bestimmt als Anknüpfungszeitpunkt den Beginn des Scheidungs- und Trennungsverfahrens und nicht den der Klageerhebung, damit auch die einvernehmliche Ehescheidung berücksichtigt werden kann. Bei der einvernehmlichen Scheidung beginnt das Verfahren mit Vorlegen des gemeinsamen Antrags der Ehegatten bei Gericht und der Abfassung des entsprechenden Berichts (Art. 747 §§ 1, 3 gr. ZPO). In den Anwendungsbereich des Art. 16 ZGB fallen die Zulässigkeit der Ehescheidung im konkreten Fall, die Scheidungsgründe und die Scheidungsfolgen, wie etwa der nacheheliche Unterhalt. Die güterrechtlichen Scheidungsfolgen werden hingegen in Art. 15 ZGB geregelt. Auf dem Gebiet des internationalen Scheidungsrechts findet der ordre public-Vorbehalt Anwendung, wenn beispielsweise das anzuwendende Recht die Unscheidbarkeit der Ehe vorsieht.[102] Es begründet jedoch keinen Verstoß gegen die griechische öffentliche Ordnung, wenn der ausländische Scheidungsgrund einem inländischen nicht genau gleicht. Es genügt, wenn der ausländische Scheidungsgrund inhaltlich unter eine der allgemeinen Kategorien der inländischen Scheidungsgründe subsumiert werden kann.[103]

[101] Näheres zur Qualifikation der Begriffe "Scheidung" und "gerichtliche Trennung" siehe Papasiopi-Pasia, Das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht in den griechischen und internationalen Konfliktsnormen, S. 13 ff.
[102] LG Athen 17130/1975, NoB 24 (1976) S. 447 ff.; Papasiopi-Pasia, Das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht in den griechischen und internationalen Konfliktsnormen, S. 199; contra: OLG Athen 4198/1970, Arm 25 (1971) S. 419.
[103] OLG Athen 9640/1990, EllDik 32 (1991) S. 1064; LG Athen 22422/1962, EEN 30 (1963) S. 279; LG Athen 11552/1973, NoB 21 (1973) S. 1502.

2. Interpersonales Recht bei der Ehescheidung

 

Rz. 60

Für die in Griechenland lebenden Muslime gilt hinsichtlich ihrer personen-, familien- und erbrechtlichen Verhältnisse das islamische Recht.[104] Das Letztere verdrängt bei solchen Angelegenheiten das sonst herrschende griechische Recht. Die Anwendung des islamischen Rechts für die in Thrakien (ein Bezirk im Nordosten Griechenlands) lebenden Muslime beruht auf dem Athener Vertrag von 1913, der die Respektierung ihres Gewohnheitsrechts gewährleistet. Darüber hinaus sind die Befugnisse der Muftis[105] festgelegt, innerhalb derer sie unter den Muslimen Recht sprechen dürfen. Art. 4 des Gesetzes Nr. 147/1914 lässt den vorerwähnten Vertrag zwischen Griechenland und der Türkei weiter gelten. Die Anwendung der religiösen muselmanischen Gesetze für die griechischen Muslime wird durch den Lausanner Vertrag von 1923 ebenfalls bestätigt. Der rechtliche Status der muslimischen Minderheit hat sich auch nach dem Inkrafttreten des griechischen Zivilgesetzbuches (23.2.1946) nicht geändert. Art. 6 des Einführungsgesetzes zum ZGB hat Art. 4 des Gesetzes Nr. 147/1914 nicht aufgehoben. Das Gesetz Nr. 1920/1991 hat auch nichts hinsichtlich der rechtlichen Befugnisse des Muftis geändert, da sie durch internationale Verträge bestätigt werden. Dieses Gesetz hat allein einige Probleme über das Verfahren und die Qualifikationen für die Ernennung der Muftis gelöst. Außer seinen religiösen Aufgaben hat der Mufti auch die Befugnis, die Rechtsregeln des Korans anzuwenden, die sich auf die Ehe, die Ehescheidung, die Unterhaltspflichten usw. der Muslime beziehen.[106] Durch das Gesetz Nr. 4511/2018 und das Präsidialdekret Nr. 52/2019 ist das Verfahren vor dem Mufti umfassender geregelt worden, so dass die rechtsstaatlichen Garantien gewahrt werden.

[104] Siehe hierzu Papasiopi-Pasia, Das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht in den griechischen und internationalen Konfliktsnormen, S. 244 ff.; Stamatiadis, Die Ehescheidung im deutsch-griechischen Rechtsverkehr, S. 190; Mekos, Die Befugnisse des Muftis und die griechische Legislation.
[105] Der Mufti ist grundsätzlich der höhere religiöse Führer der Muslimen, der auch die Rolle eines Rechtslehrers übernimmt.
[106] Die ganze Regelung wirft einige Fragen über die Verfassungsmäßigkeit des vom Mufti ang...

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