1 Normzweck

 

Rz. 1

Bei der Pfändung des laufenden Arbeitseinkommens wird der pfändungsfreie Betrag aufgrund der Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung für einen längeren, in die Zukunft gerichteten Zeitraum, also aufgrund einer Prognose festgesetzt. Nachträglich eintretende Veränderungen der Bemessungsgrundlagen würden im Regelfall zu einer unhaltbaren Ungerechtigkeit zum Nachteil des Gläubigers, des Schuldners oder eines von der Pfändung betroffenen Dritten führen, wenn sie bei der zukünftigen Vollstreckung unberücksichtigt blieben und deshalb die Pfändungsfreigrenze zu hoch oder zu niedrig festgesetzt wäre. Daher ermöglicht die Vorschrift eine Anpassung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die veränderten Umstände (BGH, NJW 2005, 830 = FamRZ 2005, 198 = NJW-RR 2005, 222 = BGHReport 2005, 333 = Rpfleger 2005, 149 = JurBüro 2005, 161 = MDR 2005, 413 = FuR 2005, 180 = KKZ 2005, 260 = ProzRB 2005, 124).

2 Anwendungsbereich

 

Rz. 2

Dieser erstreckt sich nicht auf sog. Blankettbeschlüsse, bei denen das Gericht den Umfang der Pfändung lediglich abstrakt durch Verweis auf die Pfändungstabelle nach § 850c ZPO umschreibt (vgl. § 850c Rz. 20). Dadurch wird dem Drittschuldner die Verpflichtung auferlegt, die pfändbaren Bezüge zu ermitteln (vgl. Mock, Vollstreckung effektiv 2001, 2). Hier kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag eines Beteiligten eine Feststellung über die unterhaltsberechtigten Angehörigen analog § 850c Abs. 4 ZPO mit Hilfe eines klarstellenden Beschlusses treffen (BGH, NJW 2006, 777 = Vollstreckung effektiv 2006, 45 = WM 2006, 488 = Rpfleger 2006, 202 = FamRZ 2006, 483 = BGHReport 2006, 530 = JurBüro 2006, 267 = MDR 2006, 1069).

 

Rz. 3

Der Anwendungsbereich der Regelung erstreckt sich vielmehr auf diejenigen Fälle, in denen im Beschluss ein konkreter Betrag genannt ist bzw. wo das Gericht eine Ermessenentscheidung getroffen hat. Insofern werden hiervon die Fälle der §§ 850b Abs. 2, 850d, 850e Nr. 2, 2 a, 3, 850f, 850i ZPO erfasst. In diesen Fällen nimmt das Vollstreckungsgericht originär vollstreckungsrechtliche Aufgaben wahr (BGH, Rpfleger 2008, 525 = WM 2008, 933 = ZInsO 2008, 506 = NZI 2008, 384 = ZVI 2008, 262 = MDR 2008, 828 = BGHReport 2008, 826 = VuR 2008, 314 = NJW-RR 2008, 1578 = NJW-Spezial 2008, 406; BGHZ 36, 11, 17) und hat im Unterschied zu einer Interpretation des der Vollstreckung zugrunde liegenden Titels in keine materielle Prüfung (vgl. BGHZ 152, 166, 170 f = WM 2002, 2385 = BB 2002, 2468 = ZVI 2002, 420 = BGHReport 2003, 48 = ZInsO 2002, 1183 = NJW 2003, 515 = Rpfleger 2003, 91 = InVo 2003, 70 = MDR 2003, 290 = KTS 2003, 263 = VersR 2003, 620 = JurBüro 2003, 436) einzutreten. Die von dem Vollstreckungsgericht zu treffende Entscheidung ist einem Feststellungsurteil, das ebenfalls in Anwendung der im Erkenntnisverfahren einen Fremdkörper bildenden §§ 850g, 850c ZPO erginge, gleichwertig. Insbes. wäre das Feststellungsurteil nicht geeignet, für die Berücksichtigungsfähigkeit von Unterhaltsgläubigern, die sich nach dem jeweiligen Zeitpunkt der Vollstreckungsmaßnahme bestimmt, eine dauerhafte Klärung herbeizuführen (vgl. BGHZ 109, 275 =  VersR 1990, 213 = EWiR 1990, 309 = NJW 1990, 834 = WM 1990, 569 = MDR 1990, 317 = JZ 1990, 392). Vielmehr müsste bei jeder Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ein aufwendiger neuer Rechtsstreit eingeleitet werden. Ist der Lohn des Vaters z. B. wegen des Unterhaltsanspruches eines Kindes gepfändet und überwiesen, so darf im Verfahren über eine zusätzliche Auszahlung von Kindergeld an dieses Kind die Frage der Auswirkungen der Auszahlungsanordnung auf die übrigen Kinder des Vaters nicht dem Verfahren nach § 850g ZPO überlassen werden (BayObLG, Rpfleger 1960, 20 = MDR 1960, 147 = BayObLGZ 1959, 357 = FamRZ 1960, 246).

 

Rz. 4

Die Regelung hat auch im Rahmen der Pfändung von Guthaben bei einem Pfändungsschutzkonto (P-Konto) Gültigkeit (vgl. § 850k Abs. 4 ZPO), ebenso findet sie im Insolvenzverfahren Anwendung (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO; vgl. Rz. 8).

3 Änderungen der Verhältnisse

 

Rz. 5

Als geänderte "Voraussetzungen für die Bemessung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens" i. S. d. § 850g Satz 1 ZPO kommen in erster Linie tatsächliche Veränderungen in Betracht. Beispiele hierfür sind die Geburt (KG Berlin, FamRZ 2018, 687) oder der Tod eines Unterhaltsberechtigten, der Wegfall der Unterhaltsbedürftigkeit eines Anspruchsberechtigten oder Erhöhungen/Minderungen des Arbeitseinkommens (BGH, NJW 2005, 830 m. w. N. = FamRZ 2005, 198 = NJW-RR 2005, 222 = BGHReport 2005, 333 = Rpfleger 2005, 149 = JurBüro 2005, 161 = MDR 2005, 413 = FuR 2005, 180 = KKZ 2005, 260 = ProzRB 2005, 124), Wegfall der wg. Krankheit oder Pflege maßgeblichen Umstände, die den Pfändungsfreibetrag erhöht haben (AG Frankfurt, 15.10.1997 – 83 M 4664/97 – juris), Wegfall der zeitlich ersten Pfändung eines nachrangigen Unterhaltsgläubigers durch Pfändung eines vorrangigen Unterhaltsgläubigers (Mock, Vollstreckung effektiv 2001, 2 m. w. N.). Auch die Änderung eines Gesetzes, das keine Übergangsvorschriften enthält, ist als Grund für die Abänderun...

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