Rz. 8

Abs. 3 stellt im Wege der gesetzlichen Fiktion darauf ab, dass im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Wegnahme des dem Schuldner gehörenden Geldes durch den Gerichtsvollzieher als Zahlung des Schuldners gilt (zur freiwilligen Zahlung des Schuldfners vgl. Rz 9). Die Vorschrift regelt die Gefahrtragung und bewirkt, dass der Schuldner nach Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher, aber vor Ablieferung an den Gläubiger, von seiner Leistung befreit wird (BGH, JZ 1984, 151 = LM § 109 Nr. 5 = WM 1983, 1337 = Rpfleger 1984, 74 = JurBüro 1984, 386 = MDR 1984, 310; OLG Celle, MDR 1990, 846 = NdsRpfl 1990, 205; Zöller/Herget, § 815 Rn. 2; a. A. nur bei tats. Verwirklichung des Gefahrtragungsrisikos, wenn z. B. der Gerichtsvollzieher das Geld unterschlägt oder dieses verloren geht; BGH, NJW 2011, 2149 = BGH ZZP 102, 366 = BGHR BGB § 288 Abs 1 Zahlung, vorläufige 1; Musielak/Becker, § 815 Rn. 4; Wieser, DGVZ 1988, 129, 133 m. w. N.). Insoweit wird der Schuldner vor den Risiken des Verfahrensablaufs geschützt (Musielak/Becker, § 815 Rn. 4). Sonst richtet sich die Erfüllung allein nach materiellem Recht, tritt also nicht vor Ablieferung des Geldes an den Gläubiger ein (Musielak/Becker, § 815 Rn. 4; MünchKomm/ZPO-Gruber, Rn. 12; Stein/Jonas/Münzberg, Rn. 18; LG Memmingen, MDR 2018, 176 = NJW-RR 2018, 320 = NJW 2018, 878; dem zuneigend auch: BGH, NJW 2009, 1085 = WM 2009, 560; vgl. Rz 9). Abs. 3 regelt nur den Gefahrübergang , nicht hingegen die Eigentumsverhältnisse. Eigentum erwirbt der Gläubiger nur nach materiellem Recht, also durch Übergabe (Musielak/Becker, § 815 Rn. 4 m. w. N.). Die Zwangsvollstreckung ist nur nach Ablieferung des Geldes an den Gläubiger beendet. Bis dahin können also noch andere Gläubiger eine Anschlusspfändung gegen den Schuldner erwirken.

 

Rz. 9

Die Zahlungsfiktion gilt nicht, wenn schuldnerfremdes Geld weggenommen wird, sodass der Schuldner weiterhin verpflichtet bleibt (Musielak/Becker, § 815 Rn. 4; Hk-ZV/Kindl, Rn. 13; Museliak/Gruber, Rn. 10; Putzo/Seiler, Rn. 10; Stein/Jonas/Münzberg, Rn. 19; Schuschke/Walker, Rn. 9; Brox/Walker, Rn. 421; Musielak/Lackmann, § 815, Rn. 181; Geißler, DGVZ 1991, 166). Dies gilt ebenso im Falle der Anordnung der Hinterlegung nach Abs. 2, § 720 ZPO oder einer vorherigen Einstellung bzw. Aufhebung der Zwangsvollstreckung. Gleiches gilt bei einer vorläufigen Vollstreckung des erstinstanzlichen Urteils durch den Kläger. Dies bewirkt nicht die materiell-rechtliche Erfüllung des Vergütungsanspruchs und führt bis zur Rechtskraft der Entscheidung nicht zur endgültigen Tilgung nach Abs. 3, (BAG, NZA 2012, 145 = FA 2012, 53 = ArbuR 2012, 82). Bis zur tatsächlichen Übergabe bzw. Aushändigung an den Gläubiger trägt somit der Schuldner die Verlustgefahr. Der Gerichtsvollzieher ist nicht als Vertreter des Gläubigers anzusehen mit der Wirkung, dass die Aushändigung des Geldes an ihn bereits als Übergabe an den Gläubiger und damit als Erfüllung anzusehen wäre (AG Bad Homburg, DGVZ 1991, 121).

Auf freiwillige Zahlungen des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ist aber § 815 Abs. 3 ZPO analog anwendbar (BGH, WM 2009, 560 = NJW 2009, 1085 = ZVI 2009, 111 = MDR 2009, 466 = DGVZ 2009, 77; BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 79 = Rpfleger 2011, 334 = StV 2011, 417 = NJW 2011, 2149 = DGVZ 2011, 21; AG Köln, NZI 2013, 1032). Nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur wird § 815 Abs. 3 ZPO nicht als Erfüllungsfiktion, sondern als eine von § 270 BGB abweichende Regelung über die Gefahrtragung verstanden (vgl. BGH, WM 2009, 560 = NJW 2009, 1085 = ZVI 2009, 111 = MDR 2009, 466 = DGVZ 2009, 77; BGH ZZP 102, 366; Zöller/Herget, § 815 Rn. 2; Musielak/Becker, § 815 Rn. 4; MünchKomm/ZPO-Gruber, § 815 Rn. 14). Der Schuldner ist bei freiwilliger Leistung unter dem Druck drohender Pfändung ebenso schutzwürdig wie bei der Wegnahme. Dieser Schutz des Schuldners trägt dem Umstand Rechnung, dass er auf den weiteren Verfahrensablauf keinen Einfluss nehmen kann (MünchKomm/ZPO-Gruber, § 815 Rn. 14). Verwendet der Gerichtsvollzieher das Geld nicht entsprechend den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften, trägt der Gläubiger somit die Gefahr. Er kann den Schuldner nicht nochmals in Anspruch nehmen (BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 79 = Rpfleger 2011, 334 = StV 2011, 417 = NJW 2011, 2149 = DGVZ 2011, 210).

 

Rz. 10

Werden zugunsten des Gläubigers an den Gerichtsvollzieher Geldbeträge gezahlt, ist dieser berechtigt, den Betrag in entsprechender Anwendung des § 809 ZPO zu Lasten des Gläubigers für dessen Gläubiger zu pfänden, auch wenn das Geld nicht in bar an den Gerichtsvollzieher gezahlt, sondern vom Schuldner auf das Postscheckkonto des Gerichtsvollzieher überwiesen wird (AG Rheine, JurBüro 1983, 1416; DGVZ 1984, 122).

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