1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Die in der Vorschrift angesprochenen "Schuldnerschutzbestimmungen" der §§ 711, 712 ZPO haben nur dann eine innere Berechtigung, wenn die – nicht rechtskräftige – Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz ganz oder teilweise aufgehoben bzw. abgeändert werden kann und sich damit die Vollstreckung nachträglich als ganz oder teilweise unberechtigt erweist. Sinn der Schutzvorschriften ist es, den "Schaden" durch die Vollstreckung seitens des Gläubigers im vertretbaren Rahmen zu halten. Diesen Schutz verdient der Schuldner naturgemäß dann nicht, wenn feststeht, dass es zu einer Aufhebung oder Abänderung des Urteils nicht kommen kann. Die Anwendung der Schutzvorschriften würde dann lediglich zu einer Behinderung und/oder Verzögerung der Vollstreckung, die nicht gerechtfertigt wäre, führen (MünchKomm/ZPO-Götz, § 713 Rn. 1). Deshalb haben die Schutzanordnungen zu unterbleiben, wenn es keinem Zweifel unterliegt, dass ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzulässig ist. Dem Schuldner wird dadurch zugleich der Anreiz genommen, von der Einlegung eines unzulässigen Rechtsmittels nur Gebrauch zu machen, um in den Genuss der Schuldnerschutznormen zu kommen (BeckOK/ZPO-Ulrici, § 713 Rn. 1).
2 Anwendungsbereich
Rz. 2
Die Vorschrift bezieht sich auf alle diejenigen Urteile, gegen die grundsätzlich ein Rechtsmittel statthaft ist, die im konkreten Fall aber deshalb nicht anfechtbar sind, weil die Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht erreicht bzw. die Berufung nicht zugelassen worden ist (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Nach dem Wegfall der Übergangsregelung des § 26 Nr. 8 EGZPO mit Wirkung vom 1.1.2020 findet bei Berufungsurteilen in allen Fällen die Nichtzulassungsbeschwerde statt und ist damit eine zulässige Revision nie auszuschließen (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 1138). Sie findet keine Anwendung auf Urteile, die mit ihrer Verkündung rechtskräftig werden, denn bei diesen entfällt die Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Sie findet schließlich keine Anwendung auf diejenigen Urteile, die zwar von einer Partei – mangels hinreichender Beschwer – nicht angefochten werden können, wohl aber im Wege der Anschließung (Anschlussberufung oder -revision, §§ 524, 554 ZPO; Stein/Jonas/Münzberg, § 713 Rn. 1; OLG Brandenburg, GRUR-RR 2018, 466; a. A. Zöller/Herget, § 713 Rn. 4 der die Anschließung als Rechtsmittel i. S. d. § 713 ZPO ansieht). Für den Arbeitsgerichtsprozess wird eine analoge Anwendung von § 713 ZPO im Hinblick auf die dem § 712 ZPO teilweise entsprechende Regelung des § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG erörtert. Für eine analoge Anwendung spricht sich Götz im MünchKomm/ZPO aus. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen (vgl. Beck OK ZPO/Ulrici, § 713 Rn. 2.1). Für die Zulässigkeit der Berufung wäre dann § 64 Abs. 2 ArbGG zu prüfen. Ist weder der Beschwerdewert erreicht noch die Berufung zugelassen, so ist einem Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht zu entsprechen. Dies folgt aus einer analogen Anwendung des § 713 ZPO und kann nicht damit begründet werden, dass das Urteil in diesen Fällen mit der Verkündung rechtskräftig würde (vgl. MünchKomm/ZPO-Götz, § 713 Rn. 4).
3 Prüfungskompetenz – Entscheidung
Rz. 3
Obwohl die Vorschrift als "Soll-Bestimmung" ausgestaltet ist, handelt es sich um zwingendes Recht. Das Gericht hat die Entscheidung von Amts wegen zu treffen. Ihm steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu. Es muss demnach von den genannten Schutzanordnungen absehen, wenn es die Voraussetzungen der Norm annimmt (Zöller/Herget, § 713 Rn. 1). Die Anordnung von Schutzmaßnahmen nach den §§ 711, 712 ZPO ist zu unterlassen. Der Ausspruch betreffend die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich dann allein nach den §§ 708, 709 ZPO (MünchKomm/ZPO-Götz, § 713 Rn. 3). Einen gesonderten Ausspruch hierüber enthält der Tenor des Urteils nicht.
Rz. 4
Unzweifelhaft nicht statthaft ist ein Rechtsmittel nur dann, wenn auch das Rechtsmittelgericht, das über die Zulässigkeit des Rechtsmittels schlussendlich zu befinden hat, die Zulässigkeit nicht anders beurteilen kann als das Instanzgericht. Wenn dem Gericht auch kein Ermessensspielraum zusteht, hat es einen Beurteilungsspielraum dahingehend, ob "unzweifelhaft" die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, nicht vorliegen (MünchKomm/ZPO-Götz, § 713 Rn. 32). Bei Zahlungsklagen ist dies immer dann der Fall, wenn die jeweilige Beschwer beider Parteien die Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 ZPO) nicht erreicht und die Berufung nicht zugelassen ist. Ist allerdings der Wert der Beschwer nach § 3 ZPO zu schätzen, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass das Rechtsmittelgericht von einem anderen Wert als das Instanzgericht ausgeht mit der Folge, dass es nicht unzweifelhaft sein kann, ob ein Rechtsmittel statthaft ist oder nicht (Zöller/Herget, § 713 Rn. 2). Wird die Berufung zugelassen, ist § 713 ZPO nicht anwendbar. Die Begründetheit eines Rechtsmittels hat das Instanzgericht bei der Entscheidung, ob ein Fall des § 713 ZPO vorliegt, nicht zu prüfen.
Rz. 5
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass gegen das Urteil ein Rechtsmittel unzwei...