Leitsatz

Hat der Insolvenzgläubiger vor der in § 88 InsO genannten Frist einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) gegen den Schuldner erwirkt, so ist in der Wohlverhaltensphase auf die Erinnerung des Schuldners nur dessen Vollziehung auszusetzen; er ist nicht aufzuheben.

AG Hamburg-Altona, Beschl. v. 12.6.2019 – 320a M 7/13

1 I. Der Fall

Die Insolvenz folgt auf den PfÜB

Der Gläubiger hat am 28.1.2013 einen PfÜB erwirkt, mit dem Forderungen gegen die Drittschuldnerin gepfändet wurden. Am 9.12.2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Das Insolvenzverfahren ist mit Wirkung zum 1.10.2018 beendet worden. Die Schuldnerin befindet sich im Restschuldbefreiungsverfahren.

Schuldnerin will Aufhebung des PfÜB

Mit ihrer Erinnerung begehrt die Schuldnerin die Aufhebung des PfÜB, um die öffentlich-rechtliche Verstrickung der Forderungen zu beseitigen. Das Gericht hat die ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Gläubigers zur Stellungnahme aufgefordert. Diese haben angegeben, dass der Gläubiger ihres Wissens verstorben und ihnen die Erben unbekannt seien.

2 II. Die Entscheidung

Das Vollstreckungsgericht entscheidet

Die Erinnerung ist zulässig. Das AG als Vollstreckungsgericht ist gem. §§ 766, 764 Abs. 1 ZPO für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig. Eine besondere Zuständigkeit des Insolvenzgerichts ist vorliegend nicht gegeben, denn die Anwendbarkeit des § 89 Abs. 3 InsO scheidet nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus. Eine entsprechende Zuständigkeitsregelung für Erinnerungen während der Wohlverhaltensperiode enthält die Insolvenzordnung nicht, so dass es bei der allgemeinen Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts bleibt (AG Bremen, v. 26.10.2007 – 248 M 480854/07, juris m.w.N.).

Keine Vollstreckung während Insolvenz und Wohlverhaltensphase

Die Erinnerung ist nur im tenorierten Umfang begründet. Gemäß § 294 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger in das Vermögen der Schuldnerin in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist nicht zulässig. Der Gläubiger ist Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 InsO, weil er einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen die Schuldnerin hatte. Da ein Verstoß gegen § 294 Abs. 1 InsO die öffentlich-rechtliche Verstrickung nicht hindert, dauert diese bei einer unter Verstoß gegen das Vollstreckungsverbot vorgenommenen Vollstreckungshandlung so lange an, bis ihre förmliche Aufhebung erfolgt (vgl. BGH MDR 2017, 1389).

Aber: Das bedeutet nicht zwingend eine Aufhebung von Maßnahmen

Der Rechtsschutzanspruch des Vollstreckungsgläubigers und seine durch die Zwangsvollstreckung erlangte Rechtsposition dürfen jedoch nur beschränkt werden, soweit und solange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1495). Eine Aufhebung des PfÜB, welche dem Gläubiger den erlangten Rangvorteil für alle Zukunft nimmt, ist dagegen nach dem Zweck des Gesetzes nicht geboten (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1495, Rn 10). Daher ist zur vorübergehenden Beseitigung der Verstrickung die Vollziehung aus dem angegriffenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auszusetzen (ebenso AG Zeitz, 29.11.2018 — 5 M 754/16, juris Rn 8).

Es reicht: Nur die Vollziehung wird ausgesetzt

Das ist durch den hiermit gefassten Beschluss erfolgt. Die Verstrickung wird auch beseitigt, sofern das Vollstreckungsorgan die Vollziehung des PfÜB bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben (BGH DGVZ 2017, 238; ebenso im Ergebnis AG Dresden, 23.5.2018 – 545 IK 1176/17, juris).

Soweit das AG Essen (1.8.2018 – 163 IK 206/15, juris Rn 28; ebenso AG Göttingen, 26.10.2018 – 74 IK 155/18 GÖ, juris, ohne weitere Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BGH) eine Aussetzung der Vollziehung des PfÜB nicht in Betracht zieht, weil die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Möglichkeiten der Beschränkung oder Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Vollstreckungsgericht oder ein anderes Vollstreckungsorgan im Hinblick auf das streng formalisierte Zwangsvollstreckungsverfahren als abschließend anzusehen seien (a.a.O., Rn 27), kann dem nicht gefolgt werden.

Abweichende Meinung berücksichtigt BGH-Rechtsprechung nicht

Der 7. Zivilsenat des BGH hat mit Beschl. v. 2.12.2015 (VII ZB 42/14) lediglich ausgeführt, der Gläubiger sei nicht befugt, die Rechtswirkungen der nach dem Gesetz vorgesehenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch eine einseitige Anordnung dahin zu modifizieren, dass unter Aufrechterhaltung der Verstrickung die sich aus dem Pfandrecht ergebenden Rechtswirkungen vorübergehend entfallen (a.a.O., Rn 7).

Hierin liegt jedoch kein Widerspruch zu der Auffassung des 9. Zivilsenats, dass die Verstrickung auch beseitigt wird, sofern das Vollstreckungsorgan die Vollziehung des PfÜB bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens aussetzt. Denn der Gläubiger steht dem Vollstreckungsorgan nicht gleich. Soweit das AG Essen dem 9. Zivilsenat vorhält, ein Fehlzitat verwendet zu haben, ist ihm allerdings ...

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