Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung der Auszahlung von Kindergeld auf die letzten sechs Monate vor Antragstellung (§ 70 Abs. 1 Satz 2 EStG)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG in der durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (SozialMissbrG) vom 11.07.2019 (BGBl I 2019, 1066) geänderten Fassung, mit dem die Kindergeldauszahlung auf die letzten sechs Monate vor Antragstellung begrenzt wird, ist verfassungsgemäß. Die Norm verstößt weder gegen das Gleichheitsgebot noch gegen das Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums. Die verfassungsrechtliche Einordnung hängt nicht von der Zuordnung der Antragsfrist zum Festsetzungs- oder Erhebungsverfahren ab.

2. Soweit das Kindergeld der Förderung der Familie dient, ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen mit § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG – wie auch mit § 66 Abs. 3 EStG a.F. – die Obliegenheit auferlegt, Kindergeld innerhalb von sechs Monaten nach Entstehung des Anspruchs zu beantragen.

3. Über die Voraussetzungen von § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG ist durch förmlichen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Satz 1 AO zu entscheiden, denn die Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG ist dem Erhebungsverfahren zuzuordnen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; AO § 218 Abs. 2 S. 1; EStG § 70 Abs. 1 S. 2; JStG 1996 § 66 Abs. 3 EStG i.d.F. des; GG Art. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob § 70 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (SozialMissbrG) vom 11.07.2019 (BGBl I 2019, 1066) geänderten Fassung (im Folgenden nur: EStG) einer Kindergeldauszahlung entgegensteht.

Der Kläger bezog – anschließend an seinen Kindergeldantrag vom 23.11.2015 – für seinen Sohn K (geb. xx.xx.1998) Kindergeld. Dessen Festsetzung hob die Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2018 ab Juli 2018 auf, weil der Sohn des Klägers nach den ihr vorliegenden Unterlagen seine am 01.08.2015 begonnene Berufsausbildung xxx abgeschlossen habe.

Innerhalb der Einspruchsfrist legte der Kläger eine Erklärung zum Ausbildungsverhältnis des Sohnes vor, in der er als Monat der Abschlussprüfung den 11.07.2018 angab.

Daraufhin setzte die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2018 Kindergeld für den Monat Juli 2018 fest und verwies auf das Ende der Ausbildung.

Mit Unterschrift vom 02.09.2019 reichte der Kläger bei der Beklagten ein ausgefülltes Antragsformular für Kindergeld mit Anlage Kind sowie eine Mitteilung über ein Kindohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz ein (Eingang am 03.09.2019, Bl. 152-164 der Kindergeldakte). Dem fügte er u.a. einen Änderungsvertrag zum Berufsausbildungsvertrag im Ausbildungsberuf xxx (datierend 23.07.2018) bei, in dem unter Verweis auf eine nicht bestandene Prüfung ein Ausbildungsende am 31.07.2019 angegeben war, sowie eine Aufhebungsvereinbarung (datierend 03.07.2019) über das Ausbildungsverhältnis mit Wirkung zum 01.07.2019. Wegen der Einzelheiten wird auf die Unterlagen Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 13.09.2019 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger Kindergeld für dessen Kind K ab dem Monat August 2018 fest und führte in dem Bescheid aus, dass sich hieraus ein Kindergeldanspruch erst ab März 2019 ergebe. Dies beruhe auf § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger wegen der Anwendung von § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG erfolglos Einspruch ein und führte gegen die abschlägige Einspruchsentscheidung vom 27.09.2019 zunächst das Klageverfahren 4 K 3207/19 Kg, auf dessen beigezogene Akte wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Im Laufe jenes Verfahrens erließ die Beklagte unter dem 30.04.2020 den hier streitgegenständlichen förmlichen Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 der AbgabenordnungAO –). Darin sprach sie aus, dass eine Kindergeldauszahlung für den Zeitraum August 2018 bis Februar 2019 wegen der Auszahlungsbeschränkung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG nicht erfolgen könne. Hieran hielt sie auch in der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2020 fest.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage erhoben. Er geht davon aus, dass § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG in seinem Fall bereits nicht einschlägig sei, weil sein Kindergeldantrag vom 02.09.2019 nicht als „Fortsetzungsantrag” oder Neuantrag zu verstehen sei. Vielmehr stehe ihm aufgrund des Charakters des Kindergeldanspruchs als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ein unbegrenzter Zahlungsanspruch zu. Es sei schon gar nicht nachvollziehbar, warum die Kindergeldzahlung überhaupt im August 2018 eingestellt worden sei, obwohl die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung vorgelegen hätten und von der Beklagten auch mit Bescheid vom 13.09.2019 nochmals bestätigt worden seien. Nach seinen, des Klägers, Erkenntnissen habe die Einstellung der Zahlung auf einem Irrtum beruht.

Er beantragt sinngemäß,

den Abrechnungsbescheid vom 30.04.2020 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2020 dahingehend abzuändern, dass an ihn das Kindergeld fü...

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