Rechtsanwalt Dr. Stobbe aus dem Kammerbezirk Celle beantragte in der 1. Sitzung der Ersten Satzungsversammlung am 13.10.1995 u.a., die Satzungsversammlung möge noch am selben Vormittag beschließen, ob die bestehenden Fachanwaltschaften um Fachanwaltschaften für Familien- und/oder Strafrecht erweitert werden sollten.[9] Auch wenn sich im Protokoll der Sitzung keine einzelnen Wortbeiträge hierzu finden, lässt sich der Vielzahl der niedergeschriebenen Argumente gegen (17) und für (12) die Einführung der Fachanwaltsbezeichnungen für Familienrecht und für Strafrecht[10] entnehmen, dass eine hitzige Debatte geführt worden sein muss. Zeitzeugen bestätigen dies.

Dass das Familienrecht zusammen mit dem Strafrecht schon zu Beginn der Legislaturperiode der Ersten Satzungsversammlung als Erweiterungskandidat im Gespräch war, hing vor allem damit zusammen, dass es für beide Gebiete zwar – anders als für die vier "alten" Fachanwaltschaften – keine eigenständigen Gerichtsbarkeiten, aber immerhin eigene Fachgerichte mit besonderen Verfahrensordnungen gibt.[11]

Gegen die Schaffung weiterer Fachanwaltsbezeichnungen wurden Argumente angeführt, die zum Teil bis heute diskutiert werden. So hieß es etwa, die Einführung von Fachanwaltsbezeichnungen im Familienrecht und Strafrecht führe nur zu mehr Konkurrenz innerhalb des Berufsstandes. Jeder (!) Anwalt sei auf diesen Gebieten tätig. Die Fachanwälte auf diesen Gebieten würden jedem Rechtsanwalt, aber insbesondere Einzelanwälten, Mandate nehmen. Die Einführung dieser weiteren Fachanwaltsbezeichnungen benachteilige dabei vor allem die Anwaltschaft auf dem Lande, die die entsprechenden Fallzahlen nicht werde nachweisen können. Kollegen, die bisher auf den Gebieten des Familien- und Strafrechts tätig seien, würden durch die Einführung der neuen Fachanwaltsbezeichnungen ausgegrenzt. Durch die (parallel geplante) Einführung von Tätigkeitsbezeichnungen hätten Fachanwaltsbezeichnungen sich überlebt. Tätigkeitsbezeichnungen erfüllten den gleichen Zweck. Fachanwaltsbezeichnungen verlören mit den Jahren an Wert, weil sie nur eine Angabe darüber machten, dass ein Kollege einmal geprüft worden sei, nicht aber eine Angabe darüber, welchen Qualitätsstandard er nach 10 Jahren innehabe. Es gebe nicht genügend Fälle auf den Gebieten des Familienrechts und des Strafrechts, die den Spezialisten erforderten. Nach zwei Staatsexamina bedürfe ein Anwalt nicht einer weiteren Prüfung. Die Anwaltschaft sei genügend qualifiziert. Die neuen Fachanwaltsbezeichnungen gingen an den Bedürfnissen der Praxis vorbei. Rechtsprobleme auf diesen einzelnen Gebieten gebe es nicht. In der Regel seien im Familienrecht die Fälle gleichzeitig mit Problemen des Steuerrechts verbunden, im Strafrecht häufig mit arbeitsrechtlichen Problemen.

Die Pro-Argumente lauteten u.a.: Es bestehe ein Bedürfnis in der Praxis für die Einführung der weiteren Fachanwaltsbezeichnungen. Ein Großteil der Kollegen frage danach, wie sie Fachanwalt für Familien- und Strafrecht werden könnten. Wenn eine Ausgrenzung eines Teils der Kollegen durch die Einführung der zusätzlichen Fachanwaltsbezeichnungen stattfinde, dann sei diese im Interesse der Mandanten gerechtfertigt. Die Mandanten erwarteten eine hoch qualifizierte Leistung. Diese hoch qualifizierte Leistung erbringe der Fachanwalt für Familien- und Strafrecht. Die Einführung weiterer Fachanwaltsbezeichnungen diene der Qualitätssicherung. Der Mandant habe ein großes Bedürfnis zu erfahren, wo er den qualifizierten Rechtsanwalt finde. Die Einführung weiterer Fachanwaltsbezeichnungen, insbesondere der Fachanwaltsbezeichnungen für Familien- und Strafrecht, führe deshalb zu mehr Transparenz. Aus Gründen der Waffengleichheit sei es notwendig, dass die Anwaltschaft sich auf diesen Gebieten spezialisiere. Sie trete vor dem Familiengericht dem spezialisierten Richter, nämlich dem Richter, der ständig Familiensachen bearbeite, gegenüber. Im Strafverfahren sei der Rechtsanwalt Ansprechpartner des qualifizierten Staatsanwalts und Strafrichters. Um den anwaltlichen Markt zu erhalten, sei die Einführung der Fachanwaltsbezeichnung für Familienrecht notwendig. Notare wollten über sog. Beschlussverfahren in stärkerem Maße in familienrechtlichen Verfahren beteiligt werden. Durch qualifizierte Fachanwälte für Familienrecht könne dieser Angriff auf den anwaltlichen Markt besser abgewehrt werden. Die Einführung weiterer Fachanwaltsbezeichnungen führe zur Senkung des Haftungsrisikos und zur Anhebung des Gebührenaufkommens der entsprechenden Fachanwälte. Die Einführung von weiteren Fachanwaltsbezeichnungen sei ein Mittel gegen den immer stärker werdenden Drang der Zertifizierung. Während die Zertifizierung außerhalb des Berufsstandes ablaufe, würden Fachanwälte im Berufsstand geprüft.

Einige der aufgelisteten Argumente klingen aus heutiger Sicht hoffnungslos antiquiert, andere dagegen immer noch topaktuell. Die Pro-Argumente zeigen, dass das Familienrecht auch die zurzeit im Ausschuss 1 der Satzungsversammlung bei der Findu...

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