Bei Unterhaltsverpflichteten mit geringem Einkommen ist in der Praxis immer zu überlegen, ob nicht der Selbstbehalt im konkreten Fall herabgesetzt werden kann aufgrund des Zusammenlebens mit einem Ehegatten oder einem neuen Partner (Synergieeffekt).[46]

Aus Sicht des Unterhaltspflichtigen stellt sich die Frage, ob seine verschärfte Haftung entfällt – und ihm damit ein höherer Selbstbehalt zuzubilligen ist –, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist, der bei Wahrung seines angemessenen Selbstbehalts in der Lage ist, den Barunterhaltsbedarf des Kindes zu decken (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB). Das kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch der Elternteil sein, der das Kind betreut. Folglich kann dem barunterhaltspflichtigen Elternteil der angemessene Selbstbehalt belassen bleiben, wenn der Kindesunterhalt von dem betreuenden Elternteil unter Wahrung dessen angemessenen Selbstbehalts gezahlt werden kann und ohne seine Beteiligung an der Barunterhaltspflicht ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstünde.[47]

Noch nicht abschließend geklärt ist, bei welcher Einkommensdifferenz ein solches "erhebliches finanzielles Ungleichgewicht" anzunehmen ist.[48] Je niedriger hier der Schwellenwert angesetzt wird, desto eher wäre der Unterhaltspflichtige aus seiner verschärften Haftung zu entlassen. Aber nur bei verschärfter Haftung muss sich der Unterhaltspflichtige auf den notwendigen Selbstbehalt einschränken lassen,[49] während ihm ansonsten der – deutlich höhere – angemessene Selbstbehalt nach 1603 Abs. 1 BGB zuzubilligen ist. Gerade bei den hier betroffenen nur eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten könnte dann von ihm kein Barunterhalt mehr eingefordert werden. Stattdessen müsste der andere Elternteil, der das Kind betreut, auch noch den Barunterhalt aufbringen! Dies sollte Grund genug sein, ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht i.S.v. § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB nur dann anzuerkennen, wenn das Einkommen des betreuenden Elternteils mindestens doppelt so hoch ist wie das des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils.[50]

Autor: Dr. Wolfram Viefhues , Weiterer aufsichtsführender Richter am Amtsgericht, Oberhausen

[46] BGH FamRZ 2008, 594; BGH FamRZ 2008, 969; zu den hier bestehenden Auskunftsansprüchen siehe BGH FamRZ 2011, 21 = FF 2011, 70.
[48] Dazu Dose, in: Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 2011, § 2 Rn 434; Botur, in: Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 2009, § 1603 Rn 98; BGH NJW 2011, 1874 = FamRZ 2011, 1041; OLG Brandenburg v. 15.2.2011 – 10 UF 106/10, FamFR 2011, 176; OLG Brandenburg FamRZ 2006, 1780; Palandt/Brudermüller, BGB, 70. Aufl., § 1606 Rn 19; Büttner, FamRZ 2002, 743.
[49] Klinkhammer, FamRZ 2010, 845, 847; Schürmann, in: Koch, Handbuch des Unterhaltsrechts, 2011, Rn 4121.
[50] Siehe auch die Empfehlungen des Vorstandes zum 19. Deutschen Familiengerichtstag; Brudermüller, FamRZ 2011, 1921.

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