Zugleich Anmerkung zu BGH, Beschluss v. 9.4.2014 – XII ZB 721/12

I. Anlass der Überlegungen

In einem Beschluss v. 9.4.2014 beanstandet der BGH die Entscheidung des OLG Rostock, das kein unterhaltsrechtliches Einkommen wegen Wohnvorteils mit der Begründung angerechnet hatte, dass die in der Wohnung verbliebene geschiedene Ehefrau den hälftigen Miteigentumsanteil des Ehemannes gegen eine Zahlung in Höhe des halben Wertes des Grundstücks übernommen habe und damit beide im gleichem Maß von dem Wert des früheren Familienheims profitierten. Nach Ansicht des BGH ist aufseiten der Ehefrau ein Wohnvorteil in Höhe des Wertes der gesamten Wohnung, gemindert um die unterhaltsrechtlichen Belastungen einschließlich der Belastungen durch den Erwerb des Miteigentumsanteils des anderen Ehegatten, anzusetzen.[1] Als unterhaltsrechtliches Einkommen des Ehemanns sind die Zinsen aus dem Verkaufserlös anzusehen, die an die Stelle des Wohnvorteils treten, und nachdem er den Erlös zum Bau eines Wohnhauses für sich und seine Partnerin verwendet hat, der Wohnvorteil der neuen gesamten Wohnung, der an Stelle eines Zinses aus dem Erlös getreten ist,[2]  abzüglich der nach Rechtsprechung des BGH zu berücksichtigenden Kosten.

II. Bestätigung bisheriger Rechtsprechung

Die Surrogatrechtsprechung zum Wohnvorteil beginnt mit dem kurz vor der Hausfrauen-Entscheidung vom 13.6.2001[3] erlassenen Urteil des BGH v. 3.5.2001.[4] In Abkehr vom strikten Stichtagsprinzip der vorausgehenden Rechtsprechung wird der Gedanke des Surrogats verwendet, um die Zurechnung eines veränderlichen nachehelichen Einkommens zu den ehelichen Lebensverhältnissen im Sinn von § 1578 BGB zu begründen, ohne dass im einzelnen geprüft werden muss, inwieweit der Einkommensbezug in den ehelichen Lebensverhältnissen angelegt ist. Der BGH bestätigt in der aktuellen Entscheidung seine Rechtsprechung zum Wohnvorteil. Der Beschluss enthält nichts Neues, sieht man davon ab, dass der BGH den Untergerichten die Freiheit abspricht, das Problem des Wohnvorteils anders als gemäß seiner Rechtsprechung zu lösen. Früher[5] hatte er dies der Verantwortung des Tatrichters überlassen.

Man wird einräumen müssen, dass die Ansicht des OLG Rostock, den Wohnvorteil bei der Unterhaltsberechnung nicht zu berücksichtigen, nachdem die Eheleute das diesen begründende Vermögen hälftig unter sich aufgeteilt hatten und damit für jeden von ihnen die gleiche Möglichkeit zur Nutzung wie während der Ehe hergestellt war, zu einer billig und gerechten Lösung führt. Um diese zu erreichen, muss nunmehr der Anwalt seinen Mandanten auf die Möglichkeit einer entsprechenden vertraglichen Regelung hinweisen. Andernfalls läuft er Gefahr, dass seine Partei, wenn sie durch die Lösung nach dem BGH benachteiligt wird, ihn auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Zu einer Benachteiligung kann es insbesondere deswegen kommen, weil die Einkommensentwicklung aufgrund des Wohnvorteils bei gleicher Ausgangslage aufseiten des einen Ehegatten unabhängig von der des anderen ist.

[4] BGH FamRZ 2001, 1140 (mit Anm. Graba, FPR 2001, 48).

III. Surrogat beim Wohnvorteil

Grundsätzlich ist gegen die Einkommensfortschreibung aufgrund eines Surrogats (Ersatzgegenstand) nichts einzuwenden. Es ist "selbstverständlich", dass bei einem Wechsel von der Angestelltentätigkeit in die Selbstständigkeit und umgekehrt das neue Einkommen für den Unterhalt herangezogen wird. Ebenso erscheint für einen Einkommensansatz unwesentlich, wenn das Haus verkauft wird, die Nutzung durch Wohnen entfällt, jedoch Zinsen aus der Anlage des Erlöses erzielt werden oder eine neue Wohnung mit dem Erlös angeschafft wird.

Der Einkommensansatz nach der Surrogatlehre spiegelt die momentane Situation wider, die sich ändern kann. An das erste Surrogat können sich weitere anschließen. Das anrechenbare Einkommen kann sich erhöhen oder bis zum Wegfall erniedrigen, weil der Maßstab und die Kosten für den Wohnvorteil veränderlich sind und weil die Substanz des Vermögensgutes durch äußere Einflüsse, aber auch durch Verfügung des Eigentümers bis zum totalen Verbrauch vermindert werden kann, und zwar ohne dass ihm ein für die Zurechung eines fiktiven Einkommens unterhaltsrechtliches Verschulden – unterhaltsrechtliche Leichtfertigkeit, Mutwilligkeit im Sinn von § 1579 Nr. 4 BGB[6] – angelastet werden kann, etwa weil er eindeutig unwirtschaftlich gehandelt hat.[7]

[6] BGH FamRZ 1984, 365.
[7] BGH FamRZ 2000, 1140.

IV. Ansatz der angemessenen Miete oder der Marktmiete

Der Surrogationsgedanke beim Wohnvorteil ist generell im Unterhaltsrecht verwendbar, gleich ob es sich um Verwandten- oder Ehegattenunterhalt handelt. Es ist jedoch jeweils zu prüfen, ob der Wohnvorteil auf der Basis der erzielbaren Marktmiete oder der ersparten unterhaltsrechtlich angemessenen Miete zu ermitteln ist. Letztere ist wegen Ersparnis sonst notwendiger Mietausgaben stets mindestens anzusetzen, die höhere Marktmiete nur, wenn ein Einkommen dieser Höhe unterhaltsrechtlich vorwerfbar nicht erzielt wird. Bemerkenswert ist indes, dass nach ständiger Rechtsprechung des BGH beim nachehe...

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