I. "Endlich!" – möchte man ausrufen. Endlich hatte der Bundesgerichtshof, in Gestalt des Anwaltssenats, einmal Gelegenheit, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob derselbe Rechtsanwalt (hier: dieselbe Rechtsanwältin) in derselben familienrechtlichen Angelegenheit das volljährige Kind und einen Elternteil gegen den anderen Elternteil vertreten darf.[1] Zwar geht es in der Entscheidung nicht um den "Klassiker", nämlich um das Geltendmachen beiderseitiger Unterhaltsansprüche, sondern um den Zugewinnausgleich des Vaters und Unterhaltsansprüche des Sohnes. Doch lässt sich die Entscheidung mühelos auf das andere große Thema übertragen, zumal in den Gründen auch ein Hinweis zum Thema Unterhalt gegeben wird.

Die Sichtweise von (betroffenen) Rechtsanwälten, Rechtsanwaltskammern und Berufsrechtlern zu dem Problemkreis ist höchst unterschiedlich. Während manche die gleichzeitige Vertretung eines Elternteils und des volljährigen Kindes (in der Regel geht es um das volljährig gewordene Kind, das mit dem Elternteil, bei dem es gelebt hat und lebt, nach wie vor an einem Strang zieht) durch denselben Rechtsanwalt für ganz und gar ausgeschlossen halten,[2] sehen viele Praktiker hier eigentlich keine Probleme, während andere auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abstellen.[3]

II. Der Anwaltssenat hatte es mit dem Fall einer Rechtsanwältin zu tun, die einen Mandanten im Scheidungsverfahren und im Zugewinnausgleich gegen seine Frau vertritt und zugleich für den volljährigen Sohn der Eheleute Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt gegen die Mutter erhoben hat. Hierin sah die zuständige Rechtsanwaltskammer einen Verstoß gegen die § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA, weil beide Mandanten in derselben Rechtssache vertreten würden und zwischen den Mandanten objektiv widerstreitende Interessen bestünden. Das Interesse des Ehemannes/Vaters in den Scheidungs- und Zugewinnausgleichsverfahren sei auf die Anerkennung einer geringen eigenen Vermögenslage zur Abwehr von Zugewinnausgleichs- und sich ggf. anschließenden Unterhaltsansprüchen der Ehefrau gerichtet. Das Interesse des volljährigen Sohnes bestehe dagegen in der Feststellung einer hohen Vermögenslage sowohl der Mutter als auch des Vaters zugunsten seiner eigenen Unterhaltsansprüche gegen beide. Die Kammer sprach deshalb einen belehrenden Hinweis aus und forderte die Rechtsanwältin auf, beide Mandate niederzulegen. Hiergegen hat die Anwältin Anfechtungsklage erhoben, der vom nordrhein-westfälischen Anwaltsgerichtshof auch stattgegeben wurde.[4] Die Berufung der Anwaltskammer weist jetzt der BGH zurück.

III. 1. Dabei bejaht der Anwaltssenat zunächst die – vom AGH noch offen gelassene[5] – Frage, ob der Zugewinnausgleich des Mannes/Vaters und der Unterhaltsanspruch des Sohnes dieselbe Rechtssache betreffen. Auch wenn Grundlage des Zugewinnausgleichs die Ehe sei, während der Unterhaltsanspruch des Sohnes aus dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Eltern und Kindern folge, deckten sich die Mandate sachlich-rechtlich zumindest teilweise. Die Verwandtschaft zu miteinander verheirateten Eltern betreffe denselben Sachverhalt wie deren Ehe.

Der BGH stellt also auf den einheitlichen Lebenssachverhalt ab und zieht diesen – zu Recht – weit. Damit bestätigt er im Ergebnis die Definition des Begriffs "dieselbe Rechtssache" als ein- oder mehrschichtigen Lebenssachverhalt, der angesichts der ihn begründenden historischen Tatsachen und/oder der an ihm beteiligten Personen ganz oder in Teilen nur einer einheitlichen juristischen Betrachtung zugeführt werden kann.[6]

2. Die nächste Frage, die sich bei der Subsumtion eines Sachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale der Interessenkollisionsnormen stellt, ist die, ob ein Interessengegensatz vorliegt. Tritt – wie im vorliegenden Fall – ein objektiv vorhandener Interessengegensatz deutlich zu Tage, wird die endgültige Beantwortung dieser Frage weiter davon abhängig gemacht, ob es überhaupt richtig ist, die Interessen der Parteien rein objektiv zu bestimmen,[7] ob nicht stattdessen ein subjektiver Ansatz zu wählen ist,[8] oder ob zumindest subjektive Elemente Berücksichtigung finden müssen.[9]

Der Anwaltssenat spricht sich ausdrücklich für eine objektive Bestimmung der Interessen aus. Zwar würden die Mandatspflichten eines Anwalts wesentlich durch den ihm erteilten Auftrag bestimmt. Auch sei der Anwalt an die Weisungen seines Auftraggebers gebunden, wobei es dem Mandanten, der das Misserfolgs- und Kostenrisiko trage, durchaus freistehe, Weisungen zu erteilen, die seinen wohlverstandenen Interessen aus der Sicht eines objektiven Betrachters widersprächen. Doch seien nicht selten Umfang und Ausgestaltung des Auftrags erst das Ergebnis der Erstberatung, die dem Mandanten aufzeigen solle, welche Rechte er habe und wie er diese Rechte durchsetzen könne. Außerdem müsse ein Anwalt den Mandanten auch im Rahmen eines eingeschränkten Mandats vor Gefahren warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Auftrags aufdrängten, wenn er Grund zu der Annahme habe...

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