Zugleich Anmerkung zu BGH, Urt. v. 23.9.2015 – XII ZR 99/14

Einführung

Die Entscheidung des BGH[1] könnte den Mann, der in die künstliche Befruchtung eingewilligt hatte, überrascht haben, war er sich der rechtlichen Konsequenzen seiner Erklärungen – gegenüber seiner früheren Partnerin sowie schriftlich im Behandlungszimmer des Hausarztes – wohl nicht in vollem Umfang bewusst, auch wenn der Beschluss auf der bisherigen Rechtsprechung des Senats aufbaut und eine Ungleichbehandlung des Ehemanns und eines nicht verheirateten Mannes ausschließt. Noch größer wird sein Erstaunen, wenn er erfährt, dass sich seine Position im Verhältnis zum Kind evtl. dauerhaft auf die eines reinen anonymen Zahlvaters reduziert, obwohl er weder dessen rechtlicher noch biologischer Vater ist.

In der Entscheidung führt der BGH seine bisher auf Ehegatten bezogene Rechtsprechung[2] fort, die die Zustimmung des Mannes zur künstlichen Befruchtung seiner Ehefrau als berechtigenden Vertrag zugunsten des auf diese Weise gezeugten Kindes auf Unterhalt für den Fall ausgelegt hatte, dass die durch die Ehe begründete Vaterschaft vom Ehemann nach früherer Rechtslage angefochten worden war. Die Entscheidung, der sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung beizupflichten ist, gibt Anlass, auf den rechtsgeschäftlichen Anknüpfungspunkt der unterhaltsrechtlichen Bindung, deren konkrete Folgen sowie auf die evtl. Abänderungsmöglichkeiten einzugehen.

[1] BGH FamRZ 2015, 2134 = FF 2015, 507 (LS); die im Text angeführten Randnummern (Rn) beziehen sich auf die dementsprechend nummerierten Abschnitte der besprochenen Entscheidung.
[2] BGH FamRZ 1995, 861 ff., 865 f.; bereits BGHZ 5, 302 ff.

I. Unterhaltsvereinbarung

Der "Umweg" über eine rein vertragliche Verpflichtung des Mannes ist notwendig, weil seine gesetzliche Unterhaltspflicht gegen seinen Willen nicht herbeigeführt werden kann. Denn ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren, das die Kindesmutter im Vorfeld erfolglos angestrengt hatte, musste mangels genetischer Verbindung zum Kind scheitern. Die Erwägung, auch eine Vaterschaft aufgrund einer "Elternschaft kraft Willensakt" im Verfahren nach § 169 Nr. 1 FamFG festzustellen,[3] lässt sich bisher mit dem auf die biologische Abstammung gerichteten Verfahren kaum vereinbaren.[4]

Dass eine vertragliche Regelung Wirkung auf eine andere, hieran nicht beteiligte Person haben soll, ist im Unterhalt bei gesetzlicher Vertretung minderjähriger Kinder durch den Obhutselternteil keine Besonderheit. Darüber hinaus wirkt der von einem Elternteil in gesetzlicher Verfahrensstandschaft herbeigeführte Unterhaltstitel – sei es durch Beschluss oder im gerichtlichen Vergleich – nach § 1629 Abs. 3 S. 2 BGB für und gegen das Kind. Unabhängig von dieser gesetzlichen oder verfahrensrechtlichen Vertretung des Kindes beruht die Unterhaltspflicht des einwilligenden Mannes auf einem berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. § 328 BGB.

Ob ein Dritter einen Anspruch auf Leistung erwerben soll, ist nach der allgemeinen Regelung des § 328 Abs. 2 BGB in Ermangelung "besonderer Bestimmung" im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt dem verfolgten Zweck besondere Bedeutung zu, sodass bei Verträgen, die ausschließlich dem Interesse bzw. der Versorgung des Dritten dienen oder als "Akt der Fürsorge für den Dritten" erfolgen, i.d.R. von einem Rechtserwerb des Dritten auszugehen ist.[5] Entsprechend geht die gesetzliche Auslegungsregel in § 329 BGB bei einem Leibrentenvertrag im Zweifel von einem unmittelbaren Rechtserwerb des Dritten aus. Vor diesem Hintergrund hatte die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1995, das Einverständnis des Ehemanns zur heterologen Insemination enthalte ein konkludentes Unterhaltsversprechen zugunsten des Kindes, wohl einhellig Zustimmung erfahren.[6]

Nach der Begründung des Gesetzes zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten (Kinderrechteverbesserungsgesetz – KindRVerbG) vom 9.4.2002, mit dem die Regelung des heutigen § 1600 Abs. 5 BGB eingeführt wurde, sollte der Ausschluss der Vaterschaftsanfechtung im Fall konsensualer heterologer Insemination den Verlust von Unterhaltsansprüchen sowie den Verlust des Erbrechts des Kindes verhindern. Die bewusste Entscheidung eines Paares zur Zeugung eines Kindes durch "Fremdsamenübertragung" begründet danach eine nicht aufkündbare Übernahme von Verantwortung für das Kind.[7] An diese Verantwortung durch eine "Elternschaft durch Willensakt" hatte der BGH die Unterhaltspflicht des Ehemannes geknüpft.[8]

Die Einwilligung nach § 1600 Abs. 5 BGB in eine künstliche Befruchtung ist (als vorherige Zustimmung; § 183 S. 1 BGB) ein einseitiges Rechtsgeschäft und führt zum Ausschluss des Rechts zur Vaterschaftsanfechtung. Die hierdurch begründete Verantwortung für das entstehende Leben ist Grundlage der damit verbundenen, ebenfalls empfangsbedürftigen Willenserklärung auf Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung mit der künftigen Kindesmutter zur Existenzsicherung des noch zu zeugenden Kindes. Der h.M. folgend qualifiziert der BGH (Rn 11) die Einwilligung in die künstliche B...

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