Zum wiederholten Mal beschäftigt sich das BVerfG mit der Entziehung der elterlichen Sorge und der Fremdunterbringung von Kindern[1] hier in einem Verfahren nach § 1696 Abs. 2 BGB. Es geht um den Antrag der früher allein sorgeberechtigten Mutter auf Aufhebung der etwa ein ¾ Jahr zuvor vom Familiengericht angeordneten Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB, die zur Entziehung der elterlichen Sorge und zur Trennung der Mutter von ihren Kindern und deren Unterbringung in einem heilpädagogisch-therapeutischen Jugendhaus geführt haben. Anders als bei sonstigen Entscheidungen über die elterliche Sorge, bei denen nach § 1696 Abs. 1 BGB nur gewichtige Änderungen der für die frühere Entscheidung maßgeblichen Umstände eine andere Abänderung rechtfertigen können, gelten bei der Überprüfung der vollständigen oder teilweisen Entziehung der elterlichen Sorge nach § 1696 Abs. 2 BGB dieselben rechtlichen Voraussetzungen wie bei der ursprünglichen Anordnung der Maßnahmen. Allein das Vorliegen einer anders nicht abzuwehrenden Kindeswohlgefährdung rechtfertigt die Fortdauer der die Sorge entziehenden Maßnahmen.

Das BVerfG beanstandet (ebenso wie in den vorgenannten früheren Kammerbeschlüssen), dass das AG und das OLG die Kindeswohlgefährdung als Prüfungsmaßstab verkannt und demzufolge unzureichende Feststellungen getroffen hätten. Eine konkrete nachhaltige Gefährdung des Wohls der beiden Kinder bei einer Rückkehr zur Mutter sei nicht dargelegt worden. Die Feststellungen der Gerichte, insbesondere unter Bezugnahme auf das eingeholte familienpsychologische Sachverständigengutachten, beschränkten sich auf Ausführungen zu Erziehungsdefiziten der Mutter und Bedürfnissen der Kinder, ohne im Einzelnen aufzuzeigen, dass hierin eine Gefahr für das Kindeswohl liege. Dies sei unzureichend, da nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit von Eltern Eingriffe in ihr grundrechtlich geschütztes Elternrecht rechtfertige. Das BVerfG kritisiert sehr deutlich den unzutreffenden rechtlichen Ansatz der Fachgerichte hinsichtlich der Eingriffsschwelle bei Sorgerechtsentziehungen und deren Fortdauer sowie die darauf beruhende ungenügende Sachverhaltsfeststellung. So lasse bereits die Formulierung des Gutachtenauftrags an die Sachverständige, der auf die "künftige Regelung der elterlichen Sorge" gerichtet sei, erkennen, dass das Familiengericht die strengen Voraussetzungen des § 1696 Abs. 2 BGB nicht beachtet habe. Die Sachverständige habe diesem Auftrag folgend die allein entscheidende Frage nach der nachhaltigen Kindeswohlgefährdung im Fall einer Rückkehr der Kinder zur Mutter nicht direkt behandelt. Auch mittelbar seien die Feststellungen der Sachverständigen nicht geeignet, hieraus Rückschlüsse auf eine Kindeswohlgefährdung zu ziehen. Die Kernaussage des Gutachtens, dass die Kindesmutter mutmaßlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, welche sich nachhaltig auf die Bindungen zu den Kindern auswirke, sei zu vage und spekulativ, um hieraus Erziehungsdefizite herleiten zu können, die eine Kindeswohlgefährdung zur Folge hätten.

Die Entscheidung des BVerfG zeigt besonders anschaulich nicht nur, wie wichtig die Bestimmung der Eingriffsschwelle als rechtliche Vorgabe der zu treffenden Entscheidung ist, sondern vor allem, welche Anforderungen an ein psychologisches Sachverständigengutachten, von seiner Anordnung bis zur kritischen Überprüfung seiner Feststellungen und Ergebnisse, zu stellen sind. Bereits der Auftrag an den Sachverständigen ist so zu formulieren, dass das Ziel der Begutachtung, nämlich dem Gericht bei der Feststellung und Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts zu helfen, klar und eindeutig bezeichnet wird. Dazu ist es notwendig, dass sich das Gericht zuvor darüber Klarheit verschafft, welche Sachverhaltsaufklärung in welchem Umfang rechtlich geboten ist und von ihm selbst mangels Sachkunde nicht geleistet werden kann.

Es darf nicht dem Sachverständigen überlassen bleiben, den Gegenstand seines Gutachtens selbst zu bestimmen. Eine Konkretisierung der Beweisfragen an den Sachverständigen bedarf einer genauen Analyse des vom Gericht zu entscheidenden Sachverhalts und der sich daraus ergebenden rechtlichen Vorgaben.[2] Nicht selten unterbleibt – wie auch im vorliegenden Fall – eine solche Konkretisierung oder erfolgt nur unvollständig, offensichtlich in der Annahme, der beauftragte Sachverständige werde von sich aus den Umfang der notwendigen Feststellungen und Bewertungen erkennen und sein Gutachten entsprechend erstellen.

Weitere schwerwiegende Fehler können bei der Behandlung eines eingeholten Gutachtens durch das Gericht auftreten. Hier haben sich im vorliegenden Fall sowohl das AG als auch insbesondere das OLG, dessen Begründung der Beschwerdeentscheidung nur wenige Zeilen umfasst, auf eine formelhafte Bezugnahme auf das Gutachten beschränkt, ohne auf die in beiden Instanzen von der Kindesmutter und dem Verfahrensbeistand der Kinder dagegen erhobenen Einwendungen einzugehen, was für sich allein schon einen grundrechtswidrigen Ve...

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