Entscheidungsstichwort (Thema)

Sorgerechtverfahren: Sorgerechtsentziehung setzt eingehende Feststellungen zur Kindeswohlgefährdung voraus

 

Leitsatz (amtlich)

An den Entzug der elterlichen Sorge sind auch dann strenge Maßstäbe anzusetzen, wenn eine Trennung des Kinder von den Eltern vorläufig nicht erfolgt bzw. bezweckt wird, sondern die Trennung durch die ergriffenen Maßnahmen vermieden werden soll. Der Entzug der elterlichen Sorge darf nicht als "Druckmittel" bzw. als "Bewährungsauflage" dergestalt missbraucht werden, dass der Staat hierdurch bestimmte, aus seiner Sicht dem Kindeswohl zuträgliche Verhaltensweisen durchzusetzen sucht. Es obliegt nicht den Eltern, ihre Erziehungsfähigkeit positiv zu beweisen und sich zu "bewähren"; vielmehr darf umgekehrt das Gericht den Entzug der elterlichen Sorge als massivstem Eingriff in das grundrechtlich geschützte Elternrecht nur dann anordnen, wenn und soweit ein das Kind gravierend schädigendes Erziehungsversagen mit hinreichender Gewissheit feststeht. Eine bloß mögliche Gefährdung des Kindeswohls bzw. bestehende Unwägbarkeiten genügen nicht, um einen Sorgerechtsentzug zu rechtfertigen.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a

 

Verfahrensgang

AG Waldbröl (Beschluss vom 26.08.2014; Aktenzeichen 18 F 131/13)

 

Tenor

Der Beschluss des AG - Familiengericht - Waldbröl vom 26.8.2014 (18 F 131/14) wird mit der Maßgabe abgeändert, dass die Kindesmutter die elterliche Sorge für K, geb. 0.0.2013 alleine ausübt und die angeordnete Amtsvormundschaft aufgehoben wird.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 3000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Kindesmutter und Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass ihr die elterliche Sorge für ihren am 9.7.2013 geborenen Sohn K entzogen und Amtsvormundschaft angeordnet wurde.

Die Kindesmutter ist heute 23 Jahre alt. Durch Beschluss des AG - Betreuungsgericht - Saarlouis vom 18.8.2010 wurde für sie eine Betreuung eingerichtet mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt, Wohnungsangelegenheiten und Behördenangelegenheiten. Zur Betreuerin wurde Frau E T bestellt. Diese Betreuung hat weiterhin Bestand und wird beim AG Waldbröl unter dem Aktenzeichen 10 XVII 89/12 geführt.

Die Kindesmutter wurde im Alter von 6 - 7 Jahren in einer Pflegefamilie untergebracht. Gegenüber der gerichtlichen Sachverständigen gab die Kindesmutter an, sie sei von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. Die Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit verbrachte sie teilweise in Heimen und Pflegefamilien. Zu ihrer Herkunftsfamilie hat die Kindesmutter keinen Kontakt. Im Jahr 2011 unternahm die Kindesmutter einen Suizidversuch, woraufhin sie stationär in einer Klinik aufgenommen und erstmals die Diagnose einer Borderline-Erkrankung (Typ ICP:10 F60.31) gestellt wurde. Zuletzt wurde die Kindesmutter von ihrem behandelnden Arzt insoweit als stabil eingestuft.

Der Vater des Kindes ist der heute 21 Jahre alte Herr U H. Auch er hat seine Kindheit teilweise in mehreren Heimen und Pflegefamilien verbracht. Nach Widerruf einer Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung hat er eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten verbüßt. Wegen einer Impulskontrollstörung wurde der Kindesvater zweimal drei Monate lang stationär in einer Klinik in C C2 - zuletzt bis Juli 2013 - behandelt. Die Therapie ist nach Angaben des Kindesvaters abgeschlossen.

Die Kindeseltern haben sich im August 2011 im Christlichen Jugenddorf in X bei L kennengelernt, wo beide eine Ausbildung - die Kindesmutter zur Einzelhandelskauffrau - begonnen, aber nicht abgeschlossen haben. Bis zur Schwangerschaft haben die Kindeseltern zeitweise zusammen im Haushalt der Eltern des Kindesvaters gewohnt. Inzwischen bewohnt der Kindesvater eine ca. 70 qm große eigene Wohnung in X2.

Bereits vor der Geburt von K - nämlich am 27.6.2013 - hatte das Jugendamt einen Antrag zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung betreffend das ungeborene Kind gestellt und zur Begründung ausgeführt, dass die Kindesmutter an einer instabilen Persönlichkeitsstörungen leide und mit dem Kindesvater in einer "kritischen Beziehung" lebe. Es komme immer wieder zu Gewaltausbrüchen und Streitereien der Kindeseltern.

Dem vorliegenden Hauptsacheverfahren war insoweit das einstweilige Anordnungsverfahren zum Az. 18 F 98/13 vorausgegangen, in dem das AG der Kindesmutter mit Beschluss vom 16.7.2013 (eine Woche nach der Geburt) vorläufig die elterliche Sorge entzogen hat. Nach mündlicher Verhandlung wurde die einstweilige Anordnung im Einvernehmen der Kindeseltern mit Beschluss vom 19.8.2013 vorläufig aufrechterhalten und das vorliegende Hauptsacheverfahren eingeleitet.

Am 23.7.2013 - zwei Wochen nach der Geburt - begab sich die Kindesmutter mit K in die Mutter-Kind-Einrichtung "H I" in I2, in der sie nach der Clearing-Phase am 27.10.2013 ein Appartement mit einem separaten Kinderzimmer bezogen hat. In der Einrichtung haben die Kindeseltern regelmäßig an Paargesprächen teilgenommen. Ferner fanden reg...

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