1. Rechtsmittelbelehrung

Gemäß § 39 FamFG muss jeder Beschluss eine Rechtsmittelbelehrung enthalten. Rechtsmittelbelehrungen kennt man im Zivilrecht ansonsten nur aus dem Arbeitsrecht. Dort hat es handfeste Konsequenzen, wenn die Rechtsmittelbelehrung ganz oder teilweise fehlt: Nach § 9 Abs. 5 S. 3, 4 ArbGG wird die reguläre Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt, es gilt aber die absolute Frist von einem Jahr.

Das FamFG enthält leider keine vergleichbare eindeutige Regelung. Nach § 17 Abs. 2 FamFG wird beim Fristversäumnis im Rahmen der Wiedereinsetzung vermutet, dass die Frist unverschuldet versäumt wurde, wenn die Rechtsmittelbelehrung fehlt oder falsch ist. Aus dieser Regelung ergibt sich zumindest zweifelsfrei, dass trotz Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung offensichtlich die Rechtsmittelfrist allein mit der Bekanntgabe des Beschlusses gemäß § 16 Abs. 1 FamFG in Lauf gesetzt wird, ansonsten gäbe es naturgemäß kein Fristversäumnis. Die Funktion und Wirkung der Rechtsbehelfsbelehrung ist hiernach offensichtlich eine ganz andere als im arbeitsrechtlichen Verfahren.

Entgegen dem vermeintlichen Gesetzeswortlaut bekommt der Anwalt, der wegen fehlender oder fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung die Rechtsmittelfrist versäumt, keine Wiedereinsetzung. Beim Anwalt liegt insoweit kein unvermeidbarer oder zumindest entschuldbarer Rechtsirrtum vor.[26] Vom Anwalt wird ungeachtet jeglicher Rechtsmittelbelehrung die eigenständige Kenntnis des geltenden Rechtsmittelsystems erwartet. Damit kann sich nur eine nicht anwaltlich vertretene Partei auf die fehlende oder fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung berufen!

Zum gleichen Ergebnis kommt das OLG Koblenz.[27] Gemäß § 113 FamFG gilt § 17 FamFG in Familienstreitsachen, bei denen bekanntlich nach § 114 FamFG Anwaltszwang herrscht, ausdrücklich nicht. Aber auch wenn keine anwaltliche Vertretung vorgeschrieben ist, ein Anwalt jedoch auftritt, soll § 17 FamFG nicht anwendbar sein, da der Anwalt der Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung nicht bedarf.

Das OLG Brandenburg[28] schließt sich dem OLG Hamm und dem OLG Koblenz an und stellt darüber hinaus klar, dass nicht nur ein Fachanwalt für Familienrecht die spezielle Rechtsmittelsystematik im Familienrecht kennen muss, sondern auch "die übrige Anwaltschaft".

Der BGH[29] geht mit dieser OLG-Rechtsprechung völlig konform: Hinsichtlich einer anwaltlich vertretenen Partei kann eine falsche oder fehlende Rechtsbehelfsbelehrung keine kausale Auswirkung haben, da anstelle der Rechtsbehelfsbelehrung der Anwalt die Kenntnis über das richtige Rechtsmittel haben muss.

Nach Ansicht des BGH[30] entlastet es den Anwalt auch nicht, wenn er explizit bei der Geschäftsstelle nachfragt, wo das Rechtsmittel einzulegen sei und er dort eine falsche Auskunft bekommt. Der Anwalt muss es eben besser wissen als das Gericht.

[26] OLG Hamm v. 8.7.2010 – 2 WF 130/10, NJW 2011, 463 = FamRZ 2011, 2339.
[27] V. 26.3.2010 – 13 UF 159/10, NJW 2010, 2594 = FamRZ 2011, 232.
[28] V. 7.9.2011 – 9 WF 239/11, MDR 2011, 1478.
[29] V. 23.6.2010 – XII ZB 82/10, NJW-RR 2010, 1297 = FamRZ 2010, 1425 und v. 15.6.2011 – XII ZB 468/10, NJW 2011, 2887 = FamRZ 2011, 1389.
[30] V. 15.6.2011 – XII ZB 468/10, NJW 2011, 2887 = FamRZ 2011, 1389.

2. Beschwerde

Der Anwalt muss also ungeachtet einer etwaigen Rechtsmittelbelehrung immer wissen, wo und in welcher Frist er das Rechtsmittel – also in der Regel die Beschwerde, in Altfällen aber ggf. die Berufung – einzulegen hat. Am besten liest der Anwalt die Belehrung gar nicht, um nicht in die Irre geführt zu werden; viele Gerichte sind mit der Rechtsbehelfsbelehrung immer noch deutlich überfordert. Leider hat es sich jedoch immer noch nicht bis zu jedem Anwalt herumgesprochen, dass – anders als die Berufung in Altfällen und sonst im Zivilrecht – die Beschwerde beim Amtsgericht als Ausgangsgericht einzulegen ist. Nicht selten wird die Beschwerde daher auch aktuell noch beim OLG als Beschwerdegericht eingereicht.

Wenn für das Beschwerdegericht ohne Weiteres erkennbar ist, dass die Beschwerde eigentlich an das Amtsgericht zu richten gewesen wäre – wie wohl grundsätzlich immer –, hat das OLG den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Amtsgericht weiterzuleiten. Geschieht dies jedoch nicht in gebotener Zeit und geht daher die Beschwerde erst nach Fristablauf beim Amtsgericht ein, so ist laut BGH[31] Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn bei zügiger Weiterleitung von Gericht zu Gericht die Frist noch gewahrt worden wäre. Der Anwalt sollte also, wenn er die Beschwerde einige Tage vor Fristablauf zum OLG statt zum Amtsgericht eingelegt hatte, auf jeden Fall einen Wiedereinsetzungsantrag stellen und nicht etwa sogleich in vorauseilendem Gehorsam die Beschwerde zurücknehmen.

Die gleiche Pflicht zur Weiterleitung des Schriftsatzes trifft laut BGH[32] umgekehrt das Amtsgericht, wenn fälschlich dort die Beschwerdebegründung eingeht, die ja nun wiederum richtigerweise an das OLG zu richten gewesen wäre. Auch hier kann dem Anwalt nur dringend geraten werden, Wiedereinsetzung zu beantragen, wen...

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