Stützt sich die Verurteilung des Unterhaltspflichtigen auf fiktives Einkommen, steigert dies typischerweise die Intensität des Eingriffs in das betroffene Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Während das Unterhaltsrecht in der Regel die Berufsentscheidung derjenigen akzeptiert, die Unterhalt schulden, mitsamt der sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Höhe des zumutbar zu leistenden Unterhalts, geht mit der Heranziehung fiktiver Einkünfte die Gefahr einher, die tatsächliche Leistungsfähigkeit zu überspannen und Unmögliches von ihm zu verlangen. Angesichts dessen und der an der Intensität des Grundrechtseingriffs ausgerichteten verfassungsgerichtlichen Prüfung sind die Fachgerichte insoweit von Verfassungs wegen gehalten, ihre Entscheidungsgrundlagen bei der Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt auf fiktiver Basis offenzulegen und somit deren Überprüfung zu ermöglichen. Andernfalls wäre nicht kontrollierbar, ob sie in vertretbarer Weise von einer objektiven Möglichkeit hinreichender Einkommenserzielung ausgegangen sind und ihnen keine Auslegungsfehler unterlaufen sind, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beruhen. Entsprechende Anforderungen gelten wegen des erhöhten Eingriffsgewichts einer Verpflichtung zur Unterhaltszahlung auf der Grundlage fiktiven Einkommens auch für die fachgerichtliche Beurteilung, ob die unterhaltspflichtige Person ihrer Darlegungs- und gegebenenfalls Beweislast zur Einschränkung oder Aufhebung der Leistungsfähigkeit nachgekommen ist.[36] Im entschiedenen Fall hatte die Verfassungsbeschwerde der Mutter einer minderjährigen Tochter und eines minderjährigen Sohnes wegen unzureichender Darlegungen Erfolg. Die Leistungsfähigkeit der Mutter, so das Oberlandesgericht in der den Sohn betreffenden Entscheidung, sei wegen einer Verletzung ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit unter Rückgriff auf fiktive Einkünfte zu ermitteln. Sie trage nicht mit hinreichender Substanz Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit beziehungsweise die Unfähigkeit zu solchen aufgrund einer Krankheit vor. Bereits gegenwärtig arbeite sie 20 Wochenstunden und überschreite damit die ärztlich geratene Maximalgrenze von 16 Wochenarbeitsstunden. Es sei daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin ihrem Ausbildungsberuf als Floristin bis zu einer Arbeitszeit von 48 Wochenstunden nachgehen könne.

[36] BVerfG, Beschl. v. 9.11.2020 - 1 BvR 697/20, NZFam 2021, 74 = FamRZ 2021, 274.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge