Gründe: [1] Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl 2009, L 7, S. 1).

[2] Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen WV, wohnhaft in Wien (Österreich), und dem Landkreis Harburg (Deutschland) (im Folgenden: antragstellende Einrichtung) betreffend die Begleichung einer Unterhaltsforderung zugunsten der in Deutschland wohnhaften Mutter von WV, deren Ansprüche kraft Legalzession auf die antragstellende Einrichtung übergegangen sind.

Rechtlicher Rahmen: Unionsrecht, Brüsseler Übereinkommen

[3] Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der nachfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmt:

Zitat

"Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen."

[4] Art. 5 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens sieht vor:

Zitat

"Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:"

1. …

2. wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“.

Haager Protokoll

[5] Das Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht wurde mit dem Beschluss 2009/941/EG des Rates vom 30.11.2009 (ABl 2009, L 331, S. 17) im Namen der Europäischen Gemeinschaft gebilligt (im Folgenden: Haager Protokoll).

[6] Art. 3 ("Allgemeine Regel in Bezug auf das anzuwendende Recht") dieses Protokolls bestimmt:

Zitat

"(1) Sofern in diesem Protokoll nichts anderes bestimmt ist, ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat."

(2) Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden.“

[7] Art. 10 des Haager Protokolls sieht vor, dass für das Recht einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung, die Erstattung einer der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbrachten Leistung zu verlangen, das Recht maßgebend ist, dem diese Einrichtung untersteht.

Verordnung Nr. 4/2009

[8] In den Erwägungsgründen 8, 9, 10, 11, 14, 15, 44 und 45 der Verordnung Nr. 4/2009 heißt es:

Zitat

"(8) Im Rahmen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht haben die [Europäische] Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten an Verhandlungen teilgenommen, die am 23.11.2007 mit der Annahme des [Haager Protokolls] abgeschlossen wurden. Daher ist [diesem Instrument] im Rahmen der vorliegenden Verordnung Rechnung zu tragen."

(9) Es sollte einem Unterhaltsberechtigten ohne Umstände möglich sein, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die automatisch in einem anderen Mitgliedstaat ohne weitere Formalitäten vollstreckbar ist.

(10) Um dieses Ziel zu erreichen, sollte ein gemeinschaftliches Rechtsinstrument betreffend Unterhaltssachen geschaffen werden, in dem die Bestimmungen über Kompetenzkonflikte, Kollisionsnormen, die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen sowie über Prozesskostenhilfe und die Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden zusammengeführt werden.

(11) Der Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich auf sämtliche Unterhaltspflichten erstrecken, die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen; hierdurch soll die Gleichbehandlung aller Unterhaltsberechtigten gewährleistet werden. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte der Begriff “Unterhaltspflicht' autonom ausgelegt werden.

(14) In dieser Verordnung sollte vorgesehen werden, dass der Begriff “berechtigte Person' für die Zwecke eines Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung auch öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtungen umfasst, die das Recht haben, für eine unterhaltsberechtigte Person zu handeln oder die Erstattung von Leistungen zu fordern, die der berechtigten Person anstelle von Unterhalt erbracht wurden. Handelt eine öffentliche Aufgaben wahrnehmende Einrichtung in dieser Eigenschaft, so sollte sie Anspruch auf die gleichen Dienste und die gleiche Prozesskostenhilfe wie eine berechtigte Person haben.

(15) Um die Interessen der Unterhaltsberechtigten zu wahren und eine ordnungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Europäischen Union zu fördern, sollten die Vorschriften über die Zuständigkeit, die sich aus der Verordnung (EG)...

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