Familienrechtspsychologische Sachverständige gehören innerhalb der Psychologie und der forensischen Berufsgruppe zu den am häufigsten angegangenen Personen. In den USA (Untersuchungen existieren – unseres Wissens nach – in Deutschland nicht) berichteten über 35 % der befragten Sachverständigen von Klagen über ihre Person oder ihr Vorgehen außerhalb des Gerichtsverfahrens, in dem sie als Sachverständige tätig waren.[15] In den USA haben diese Kampagnen bereits dazu geführt, dass sich viele Sachverständige in den klinischen Bereich zurückgezogen haben. Es besteht dort bereits ein ernstzunehmender Mangel an familienpsychologischen Sachverständigen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch in Deutschland ab. Absolventen des Studiengangs Psychologie wollen zwar auf dem Gebiet der Rechtspsychologie tätig werden und finden das familienrechtliche Feld mit den Möglichkeiten der Streitschlichtung interessant. In diesem Fall, unterziehen sie sich meist einer kosten- und zeitintensiven Weiterbildung, werden von erfahrenen Sachverständigen mühevoll in die schwierige Tätigkeit eingearbeitet und beginnen mit der eigenständigen Bearbeitung von gerichtlichen Aufträgen.[16] Unsere Erfahrung – und auch die anderer von uns befragten Kolleginnen und Kollegen -- zeigt aber, dass immer weniger Sachverständige diese verantwortungsvolle Tätigkeit für längere Zeit vollumfänglich ausüben. Sie wenden sich nach einer oftmals mehrjährigen Tätigkeit in diesem Berufsfeld aufgrund der Belastung und der Befürchtung vor (tatsächlichen) Angriffen anderen Berufsfeldern zu. Meist wird die Tätigkeit an einer Erziehungsberatungsstelle oder die Therapieausbildung der Tätigkeit eines familienpsychologischen Sachverständigen vorgezogen. Diese Berufsfelder, bei denen oftmals auch ein Mangel an qualifizierten Psychologen besteht, sind mit deutlich weniger Anfeindungen und Angriffen und zudem mit positiven Rückmeldungen verbunden.

Dies hat nun wiederum zur Folge, dass Richter und Anwälte sich darüber beklagen, dass zu wenige Sachverständige oder nur noch jüngere, nicht so erfahrene Sachverständige oder nur mit unzureichender akademischer Ausbildung zur Verfügung stehen.[17] Dies führt zur Kritik an der angeblichen fehlenden Fachkompetenz oder unzureichenden fachlichen oder gar persönlichen Erfahrung, was die Motivation der jüngeren Kolleginnen und Kollegen, der Sachverständigentätigkeit verbunden zu bleiben, nicht unbedingt erhöht.

Studien aus den USA haben aufgezeigt, dass die noch verbleibenden Sachverständigen immer älter werden, immer mehr Fälle nehmen und die Gutachten immer teurer werden. Auch in Deutschland ist der Trend zu beobachten,[18] dass die erstellten Gutachten immer länger werden, um den erhöhten formalen Anforderungen gerecht zu werden und sich gegenüber möglichen Angriffen bereits vorab abzusichern. Auch dies erhöht den Zeit- und Kostenaufwand der familienpsychologischen Gutachten. Dem gegenüber steht eine Vielzahl an Kindschaftsverfahren, welche eigentlich einer zügigen sachverständigen Empfehlung oder Intervention dringend bedürften.

[15] Siehe auch Zumbach/Koglin, Psychological Evaluations in Family Law Proceedings, A Systematic Review of the Contemporary Literature, Professional Psychology Research and Practice, 2015, 10.
[16] Die Weiterbildung wird mit einer Prüfung abgeschlossen und mit einem Zertifikat, Fachpsychologe für Rechtspsychologie“ beurkundet. Zur Erfüllung der Zertifizierungsbedingungen müssen 375 Stunden der berufsbegleitenden Weiterbildung absolviert werden. Dazu gehört zusätzlich die regelmäßige Teilnahme an einem Supervisionsteam, dem sogenannten Fachteam. Eine mandatierte jährliche Fortbildung für Sachverständige mit ca. 40 Stunden wird gefordert, um den Titel zu behalten.
[18] Kannegießer et al., Neue Föderative Gutachtenstandards – die Quadratur des Kreises? Praxis der Rechtspsychologie, 2019, 29.

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