Die Mindestanforderungen[49] geben zumindest vor, welche Teile im Gutachten ausgeführt werden müssen und welche weniger bedeutsam sind. Viele Bereiche, die in den Mindeststandards erwähnt sind verlangen aber nicht, dass sie in einem eigenen Gliederungspunkt ausführlich abgehandelt werden müssen. Es genügt, wenn die Informationen aus dem Gutachtentext ersichtlich werden.

Leider dienen sie auch als angebliche Grundlage von sog. Gegengutachtern, um bezugnehmend auf die Mindeststandards ein Gutachten zu "zerlegen". Sie stellen formale Anforderungen an die schriftliche Darstellung eines gerichtlich beauftragten Gutachtens, die so in den Mindeststandards nicht erwähnt werden (z.B. prinzipielle Notwendigkeit einer Übersetzung der juristischen in eine psychologische Frage, prinzipielle Notwendigkeit der Darstellung der Aktenanalyse u.a.). Überzogene Kritik, die weder inhaltliche Relevanz hat, noch durch Fachliteratur belegt wird, kann von den anderen Verfahrensbeteiligten aufgrund eigener fehlender Fachkompetenz häufig nicht angemessen eingeschätzt werden. Anwälte nehmen gerne überzogene Kritik auf, um ein Gutachten im Sinne ihres Mandanten abzuwerten.

Um sich gegenüber diese zunehmenden, zukünftigen Klagen oder gar Haftungsprozesse abzusichern, ist die Tendenz bei Sachverständigen zu beobachten, ihre Gutachten möglichst formal abzusichern, z.B. schon zu Beginn der Begutachtung zeitintensiv mündlich allumfassend über den Begutachtungsprozess aufzuklären, immer mehr Formulare ausfüllen zu lassen (bezüglich Datenschutz, Verbot von Aufzeichnung von Gesprächen durch die Eltern, Aufbewahrung der Daten, Erlaubnis, die Daten ans Gericht weiterzugeben, bezüglich Einwilligung, auch im Hinblick auf die anzufragenden Informanten, bezüglich Hygienevorschriften), und dies auch im schriftlichen Gutachten aufzunehmen, um ja keine Angriffspunkte für spätere Klagen zu geben.

Bedenklicher erscheint aber aus Sicht der Autoren die Möglichkeit, dass der formalen Absicherung des Gutachtens ein größeres Gewicht zugemessen wird, als der inhaltlichen Auseinandersetzung, die letztendlich für das Kindeswohl, aber auch die Familie wesentlicher erscheint.

Nicht zuletzt führt dies dazu, dass die schriftlichen Gutachten immer umfangreicher werden, ohne dass sie an inhaltlicher Relevanz gewinnen. Dies bedingt eine zeitlich erhebliche Arbeitsbelastung des Sachverständigen und eine erhebliche Kostensteigerung des Gutachtens und vor allem zeitliche Verzögerungen, was dann wiederum Einwände der Parteien, aber auch Klagen, dass zu wenige Sachverständige für Gutachten zur Verfügung stehen nach sich zieht, was sicher nicht im Sinne des Kindeswohles ist. Die vor elf Jahren noch durch die FamFG Reform bedingte Entwicklung zu kurzen sachverständigen Stellungnahmen, mündlicher Gutachtenerstattung mit Hinwirken auf Einvernehmen scheint sich in das Gegenteil umzuwandeln.

[49] Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten 2019, Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, u.a. NZFam 2015, 937; NZFam 2019, 804.

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