GG Art. 3 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3

Leitsatz

Die Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren darf nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert wird und dieses an die Stelle des Hauptverfahrens tritt. Erachtet das Beschwerdegericht die unterlassene Kindesanhörung durch das Familiengericht selbst als einen schweren Verfahrensfehler, so kann es bei der Prüfung der Erfolgsaussicht der Beschwerde nicht allein auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten abstellen, weil die Beurteilung dann auf der Basis einer unzulänglichen Erkenntnislage erfolgt, die der Gesamtwürdigung noch ausstehender Beweise vorgreift und diese in das summarische Verfahren vorverlagert. (Leitsätze der Redaktion)

BVerfG, Beschl. v. 30.6.2009 – 1 BvR 728/09 (Schleswig-Holsteinisches OLG)

Aus den Gründen

Gründe: I. [1] Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Zurückweisung ihres Prozesskostenhilfeantrages für die Beschwerdeinstanz in einem sorgerechtlichen Verfahren betreffend ihren am 10.2.2001 geborenen Sohn.

[2] 1. Mit Beschl. v. 13.1.2009 entzog das AG M. – nach Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens – der Beschwerdeführerin Teile der elterlichen Sorge und übertrug diese – ohne vorherige Anhörung des Kindes – auf das Jugendamt des Kreises D.

[3] Mit Beschl. v. 3.3.2009 wies das Schleswig-Holsteinische OLG den Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zurück. Es bestünde keine Erfolgsaussicht. Zu Recht habe das AG den Teilsorgerechtsentzug angeordnet, wie sich insbesondere aus dem Sachverständigengutachten ergebe.

[4] Die hiergegen gerichtete Gegenvorstellung wies das OLG mit Beschl. v. 16.3.2009 zurück. Die Beschwerdeführerin weise zwar zutreffend darauf hin, dass das amtsgerichtliche Verfahren unter einem wesentlichen Verfahrensmangel leide, weil das Kind nicht persönlich angehört worden sei. Der Senat beabsichtige, diesen Verfahrensmangel dadurch selbst zu beheben, dass die Anhörung des Kindes im Beschwerdeverfahren nachgeholt werde. Jedoch vermöge dieser Verfahrensfehler nach dem Beschwerdevorbringen und der Aktenlage auch unter Berücksichtigung des in FGG-Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu begründen. Dies folge aus dem Inhalt des Gutachtens vom 16.12.2008. Darin komme die Sachverständige gerade nach der Exploration des Kindes zu dem nachvollziehbaren und gut begründeten Ergebnis, dass das Wohl des Kindes bei einem weiteren Verbleib im mütterlichen Haushalt erheblich gefährdet erscheine. Insoweit habe bereits der Senat den Inhalt des Gutachtens in seinem Beschl. v. 3.3.2009 eingehend gewürdigt.

[5] 2. Mit ihrer am 26.3.2009 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

[6] 3. Mit Beschl. v. 30.4.2009 wurde der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem BVerfG Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts H. bewilligt.

[7] 4. Den Beteiligten des Ausgangsverfahrens und der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II. [8] Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG).

[9] Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

[10] 1. a) Nach ständiger Rspr. des BVerfG gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verlangt keine völlige Gleichstellung; der Unbemittelte muss vielmehr nur dem Bemittelten gleich gestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf jedoch nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert wird und dieses an die Stelle des Hauptverfahrens tritt; denn das Prozesskostenhilfeverfahren soll den verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, FamRZ 1993, 664 f.).

[11] b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Das OLG hat die Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags der Beschwerdeführerin mit dem Verweis auf das Ergebnis des vom AG eingeholte...

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